die steile these: DasAutoistalsVerkehrsmittelungeschlagen
Von Svenja Bergt
Kürzlich vor dem Sitz eines mittelständischen Unternehmens im Berliner Zentrum: Drei Mitarbeiter:innen gehen zu ihrem mutmaßlichen Dienst-BMW, sie unterhalten sich über einen bevorstehenden Termin in München und die Frage, ob sie es pünktlich bis 18 Uhr schaffen werden. Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, ein Wochentag. In einer halben Stunde würde der ICE ab Berlin Hauptbahnhof fahren – um 17.01 wären sie in München.
Es ist unwahrscheinlich, dass diese Information für die drei einen Unterschied gemacht hätte. Denn selbst wenn sie mit dem Auto im Stau stehen und erst mit Verspätung in München ankommen – alles andere wäre genau nach ihren Vorstellungen gelaufen. Im Auto ist es genauso kalt oder warm, so verraucht oder nach Wunderbaum riechend, so podcastbeschallt oder weihnachtsmusikverdudelt, wie sie es sich wünschten. Sie können genau dann Rast machen, wenn ihnen nach etwas zu essen ist, und wären nicht davon abhängig, ob die Mikrowelle im Bordbistro heute Lust auf Dienst hat. Und sie können sich über private und geschäftliche Dinge unterhalten, ohne Angst davor zu haben, dass fremde Ohren mithören und Firmeninterna nicht mehr ganz so intern sind.
Es gibt wunderbare Forschung rund um die Frage, warum öffentlicher Personennahverkehr nur so mittelbeliebt ist. Eines der zentralen Probleme aus Sicht des einzelnen Passagiers: die anderen Passagiere. Sie stinken und pöbeln und schmatzen, sie hören zu laut Musik und dazu die falsche, sie nehmen zu viel Raum ein, und wenn sie aussteigen wollen, drücken sie vorne mit dem aus Diebstahlschutzgründen auf den Bauch geschnallten Rucksack und schlagen sich parallel dazu eine Schneise mit dem Regenschirm.
Die anderen Passagiere, das ist etwas, das man nur gelindert bekommt, mit intelligentem Innendesign der Fahrzeuge. Eine Choreografie aus Sitzen, Trennwänden, Gängen und Haltestangen, die natürliche Abstandsfaktoren einbaut und das größtmögliche Gefühl eines eigenen, sicheren Bereichs vermittelt. Aber die Vorstände solcher Unternehmen interessiert das nicht primär, sie wollen lieber proppenvolle Busse und Züge und bevorzugen selbst den Dienst-Mercedes. Ja ist doch so.
Das Auto ist als Verkehrsmittel ungeschlagen. Aus individuell-egoistischer Sicht ist es das Bequemste, was derzeit möglich ist. Es gibt Menschen, die lagern einen Teil ihres Haushalts in den Kofferraum aus, immer das, was gerade keinen Platz in der Wohnung findet. Andere haben ständig die Sporttasche dabei, wieder andere einen fertig gepackten Koffer. Es könnte schließlich sein, dass es spontan nach Sevilla geht oder nach Paris. Oder zumindest nach Würzburg.
Das Auto ist, bei allem Postmaterialismus, immer noch ein Freiheitsversprechen. Das zeigt schon das wachsende Segment von Wohnwagen und ausgebauten VW-Bussen. Wer das nicht glaubt, geht auf eine einschlägige Reisemesse. Oder auf Instagram, wo die Busse mit Meerblick im Sonnenuntergangslicht inszeniert werden. Das Auto ist die Antwort der industrialisierten Welt auf den selbst verursachten Dichtestress.
Diese ungeschlagene Position des Autos zu verstehen ist nicht gerade angenehm. Besonders nicht für Menschen, die davon ausgehen, dass überzeugte Autofahrer:innen mit einer Jahreskarte für die Bahn oder mit einem guten E-Bike schon umzustimmen sind. Aber es ist wichtig, die Spitzenposition anzuerkennen, wenn es darum geht, die dringend notwendige Verkehrswende anzugehen.
Dann ist nämlich klar: Mit ein paar Angeboten (hier bitte ein Pilotprojekt mit kostenlosem öffentlichen Nahverkehr und da bitte schön noch ein Park-and-Ride-Platz) und einigen kleinen Stichen (pieks Parkraumbewirtschaftung, pieks Ökosteuer auf Sprit, pieks Tempo-30-Zone) ist dabei so gar nicht weiterzukommen. Der individuell-egoistische Gewinn durch das eigene Auto ist einfach zu hoch.
Denn es ist zwar nett, wenn der Bus auf einmal kostenlos ist, weil die Kommune in einem Pilotprojekt mal testen will, ob die Leute damit zur Benutzung motiviert werden können. Wenn sich die Haltestelle aber nur ein paar hundert Meter entfernt befindet und es regnet und der Bus außerdem morgens voller lärmender Schulkinder ist, na ja, dann ist halt doch das Auto in der Garage näher. Ach was: Schon einer der drei Gründe (Entfernung, Regen, Schulkinder) würde ausreichen. Und wahrscheinlich muss es nicht einmal einen dieser drei Gründe geben, schließlich steht das Auto vor der Tür – so wie der Dienst-BWM des Berliner Unternehmens für die Fahrt nach München.
Die Ungeschlagenheit des Autos anzuerkennen heißt, den Weg frei zu machen für Maßnahmen, die wirklich helfen. Weil sie ordentlich wehtun und das Auto als Gesamtkonzept unattraktiv machen. Und das sind: Verbote.
Die aktuelle Debatte über eine konsequente Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ist absurd. Das ist so 1970er. Geschwindigkeitsbegrenzung? Wir brauchen Fahrverbote. Bei hohen Feinstaubwerten. In Innenstädten. Bei Smoglagen.
Es gehört verboten, mit dem privaten Auto standardmäßig öffentlichen Raum zu privatisieren. Wir brauchen (Achtung, kein Verbot) eine streckenbezogene Maut. Und ja, das geht auch privatsphärefreundlich, das Datenschutz-Argument also bitte aufbewahren für Fälle, in denen es tatsächlich gebraucht wird. Wir brauchen einen Modus, um die Kosten des Autos – von Flächenfraß bis Feinstaub – einzupreisen.
Natürlich muss es parallel dazu Angebote geben. Zu viele Orte sind von einer öffentlichen Mobilität praktisch abgeschnitten. In der Debatte könnte es also mal darum gehen, den Status quo zu verbessern. Das würde den Schmerz über das verlorene Freiheitsgefühl wohl nicht beseitigen. Denn der ist vermutlich auch ein Schmerz über nicht genutzte Möglichkeiten (Sevilla!). Aber es könnte eine Hilfe sein, im Alltag trotzdem Mobilität zu ermöglichen. Und darum geht es ja.
Das Bewusstsein, dass das Auto ungeschlagen ist, ist nützlich. Im besten Fall nimmt es die Energie aus den kleinen kosmetischen Maßnahmen und leitet sie um in die großen zu lösenden Probleme. Es gibt da nämlich eines, das uns noch bevorsteht. Eine Entwicklung, die das Auto auch hierzulande eines Tages tatsächlich schlagen könnte. Eine Verlagerung in die dritte Dimension: Flugautos, diese ewige Utopie, die mit der Entwicklung von Flugtaxis zumindest in eine für Menschen mit viel Geld greifbare Nähe rücken könnte. Es wäre an der Zeit, Stopp zu schreien. Stattdessen geht die Tendenz gerade in Richtung Hurra.
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