die spanische woche der wahrheit: Katalanische Kerne und deutsche Därme
Die kleine Pension, in der sich M. und F. eingemietet hatten, lag direkt am wunderbaren Strand des katalanischen Städtchens Sitges. Der Wirt war ein zahnloser alter Mann..
...der den beiden Urlaubern zur Begrüßung eine riesige Schale Oliven auf den Tisch stellte. Nun war es leider so, dass weder M. noch F. sich an Oliven erfreuen konnten, doch wollten sie den liebenswerten Wirt nicht kränken. Raffiniert ließen M. und F. deshalb nach und nach unauffällig die Oliven in eine zuvor von Sonnenmilch und Fußpuder freigeräumte Plastiktüte in ihrer Badetasche gleiten, um sie bei der nächstbesten Gelegenheit irgendwie verschwinden zu lassen. Der Abend neigte sich dem Ende zu, und mit einem seltsamen Blick räumte der Wirt die leere Olivenschüssel ab und wünschte blinzelnd eine geruhsame Nacht.
Am nächsten Abend saßen in der Wirtsstube nicht nur der Wirt, sondern auch dessen Frau, eine Schwester und ein Onkel, einige zahllose Neffen und Nichten, ein paar Tanten und Schwippschwäger - kurz, die ganze bucklige Verwandtschaft schien der alte Mann eingeladen zu haben, um gemeinsam mit M. und F. ein paar Muscheln zu verspeisen.
Nun hatten M. und F. keine direkte Abneigung gegen Muscheln, wenn diese freilich auch nicht zu ihrer Leibspeise gehörten. Unter den aufmerksamen Blicken der Katalanen begannen sie also die Muscheln zu öffnen und zu verzehren. Die Katalanensippe wirkte zunächst nur leicht amüsiert, dann aber immer fröhlicher, und nachdem M. und F. nun ungefähr die Hälfte der Muscheln verzehrt hatten, ergriff ein Neffe, Onkel oder Schwippschwager das Wort und erklärte, man müsse doch vor dem Essen der Muscheln jeweils den Darmtrakt entfernen, den solle man doch ebenso wenig mitessen wie die Kerne der Oliven am Vorabend. M. und F. versuchten ihr Gesicht zu wahren und zogen sich hintergründig lächelnd zurück.
Am nächsten Tag erklärte der Wirt, er habe für den Abend eine besondere Überraschung vorbereitet. Als M. und F. am Abend die Wirtsstube betraten, barst diese beinahe vor neugierigem Publikum. Der Bürgermeister war gekommen, die freiwillige Feuerwehr und sämtliche Erstklässler der nahegelegenen Grundschule. M. und F. nahmen Platz, das Publikum umdrängte lachend den Tisch, die Kinder wurden nach vorne gelassen, um besser sehen zu können. Unter dem Jubel der Umstehenden wurde das Essen aufgetragen, und angespornt durch das auffordernde Zunicken der Katalanen langten M. und F. zu. Dann verlor sich für die beiden unschuldigen Urlauber die ganze Szenerie in einem sinnverwirrenden Strudel farbenprächtigster Eindrücke, und als sie am nächsten Morgen in ihren Betten erwachten, da konnten sie sich zwar an nichts mehr genau erinnern, dennoch reisten sie mit einem unguten Gefühl in der Magengegend umgehend ab.
Und noch heute geht in Katalonien die Legende von zwei merkwürdigen Touristen, die Olivenkerne und Muscheldärme heiß begehrten und auch sonst jeden Dreck gegessen hatten, sogar Würmerfisch eingelegt in Mentholwein an Rattenschwanzsalat mit grünlich schimmernden Beilagen aus den örtlichen Krankenhausabfällen - eben das katalanische Nationalgericht.
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