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die sache istFragmentierte Sternchen

Schnittstelle von Popstarposter und gerade gewürdigter Bilder-Zerstückelung: Ist der „Bravo“-Starschnitt die Mutter aller Sachen?

Foto: Boris Roessler/dpa

Es lässt sich das Ganze natürlich auch ganz nüchtern betrachten. Dann ist die Idee, wandtauglich großformatige Abbilder aktuell anzuhimmelnder Musik-, Film- oder auch mal Kirchen-Stars nicht nur jeder Ausgabe beizufügen, sondern auf mehrere zu verteilen, schlicht sehr gutes, weil die Lesenden bindendes verlegerisches Handeln – die Beatles zerlegte man einst in gleich 44 Teile, zu finden in 39 Bravo-Heften.

Das selbst inzwischen erloschene Magazin war nicht das Einzige in der westdeutschen Zeitschriftengeschichte, das auf solche „Starschnitte“ setzte, die gab es auch im Kicker. Und wie taz-Leser Jochen Laun mal per Zuschrift einzubringen wusste, versprach einst das Mad-Magazin, gleich die ganze Erde im Maßstab 1:1 abzubilden, lieferte dann aber komischerweise nicht … Weder das Fußballfachblatt noch die Humor-Instanz der 70er- und 80er-Jahre werden aber so sehr assoziiert mit den fragmentierten Sternchenkörpern, wie, eben, die Bravo.

Die mit den Sammelpostern nur eines ihrer Standbeine von den papiernen Seiten ins ganz dreidimensionale Leben ihrer Le­se­r:in­nen sich erweitern ließ: Mindestens so wichtige Daseinsberechtigung wie die Stars und Sternchen stiftete dem Heft ja die wortwörtliche Volksaufklärung, allen vorneweg durch Dr. Sommer und seine Kolumne – die Klitoris in neun Teilen zum Sammeln und Kleben lag der Bravo aber dann doch nie bei.

Gelernt haben mag dennoch mancher manches über die eigene, aber vor allem die heteronorm gegenüberliegende Anatomie, immerhin machte 1959 ein Bild der höchstens 25-jährigen Brigitte Bardot den Anfang, genau genommen: eines ihrer Füße. Ob eine spezifische Begeisterung für derart isolierte Körperteile im Spiel war, als – ausgerechnet! – die Sparkassen-Stiftung in Lüneburg zur Bewahrerin der wohl größten Bravo-Starschnitt-Sammlung wurde? Gefragt nach den Hintergründen für den besonderen Bestand antwortete die Stiftung nicht, zumindest nicht rechtzeitig fürs ausgehende Drucklegungszeitalter, und allzu verschwitzte Mutmaßungen verbieten sich natürlich.

Ausstellung „Der ‚Bravo‘-Starschnitt“: 12. 10. bis 12. 4. 26, Museumsdorf Cloppenburg

Gezeigt werden die Lüneburger Bravo-Schätze – mit 108 beinahe alle je darin erschienenen Starschnitte – nun im Museumsdorf Cloppenburg, was einen ganz eigenen Kommentar mitliefert, zu alt gewordener Jugendkultur zum Beispiel. Nicht zu sehen sein wird der einst auf stabilere Pappe aufgezogene Bravo-E. T. des Autors dieser Zeilen, der zudem mittels Leuchtdiode eine tatsächlich leuchtende Fingerspitze erhielt (der E. T., nicht der Autor): Dieses Zeugnis kreativer Fan-Praxis, das dem älteren Bruder damals den Kauf mehrerer Wochen Bravo erlaubte, lagert in einer anderen deutschen Kleinstadt – auf dem elterlichen Dachboden. Alexander Diehl

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