die sache ist: Tiny Houses für das Reich
Eine „Ley-Bude“ steht nun am Kiekeberg: Sie diente Ausgebombten im Krieg als standardisiertes Behelfsheim
Den Anstoß gab die Nissenhütte: Eine dieser halbrund-röhrenförmigen Wellblech-Behausungen, 1916 vom kanadischen Offizier Peter Norman Nissen erfunden, steht seit den Nullerjahren auf dem Gelände des Freilichtmuseums am Kiekeberg bei Hamburg. „Dann muss mein kleines Häuschen doch auch hierher“, habe er sich gedacht, hat bei der Eröffnung vor einigen Wochen Peter Rathmann erzählt. Der ehemalige Speditionskaufmann hat dem Museum ein kleines Holzhaus mit schrägem Pultdach, 20 Quadratmeter Wohnfläche, ohne Strom und Sanitäranschlüsse gespendet.
Das Museums-Team ist stolz, weil es damit eine „Ley-Bude“ im Original-Zustand präsentieren kann: Von einem „unglaublich wichtigen Gebäude“ spricht Museumsdirektor Stefan Zimmermann. Das Thema treffe den Nerv der Zeit – Menschen, die kurzfristig Notunterkünfte beziehen müssen, gibt es auch heute nicht wenige, sei’s wegen Kriegs oder Klimawandels. Oder diese Tiny Houses, und wo man die so alles einsetzen könnte.
Seinen Namen verdankt die Bude einem Groß-Nazi, Robert Ley, ab 1933 Organisator der Deutschen Arbeitsfront, der sich in Nürnberg kurz vorm Urteilsspruch selbst aus dem Leben beförderte. Dass es die billig und schnell zu errichtende Unterkunft geben musste, erzählt etwas über die Kriegsrealität. Lindern sollte das Behelfsheim nach „Reichseinheitstyp 001“ des 1943 gegründeten Deutschen Wohnungshilfswerks die Not ausgebombter Volksgenoss:innen in Zeiten, da Baustoffe und Arbeitskräfte für zivile Zwecke rar waren.
Zwei Räume, ein Ofen als Heizung und Kochstelle, zum Kühlen verderblicher Nahrungsmittel sollte ein Erdloch mit darüberliegender Klappe im Holzfußboden dienen. Gedacht waren die kaum komfortabel zu nennenden Buden für bis zu sechs Menschen, mancherorts werden sie bis heute bewohnt. 300 oder 400.000? Wie viele, zum Schluss für Vertriebene, bis in die Nachkriegszeit hinein errichtet wurden, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Das Wissen über die Errichtung war irgendwann viral gegangen, die Einhaltung der vorgesehenen Abmessungen und Materialien kontrollierte niemand; überhaupt wurde mitnichten so konzertiert geplant und ausgeführt und über die Standards gewacht, wie es das Regime gern von sich behauptete.
„Die Bauten mussten nicht genehmigt werden, es gab keine Bauakten, keinen Eintrag in die Grundbücher“, sagte 2021 die Historikerin Zofia Durda dem Hamburger Abendblatt. Da hatte der Plan, das Objekt ins Museum zu bringen, gerade Gestalt angenommen. Rathmanns Spenden-Bude setzte sich am Ende durch gegen eine, die immer wieder umgebaut worden war.
Es werde da eine konzeptionelle Lücke geschlossen, sagte Museumsdirektor Zimmermann. So beherbergt die Bude die neue Dauerausstellung, „Harburg unterm Hakenkreuz. Ein Landkreis von 1933 bis 1945“, eine überfällige Ergänzung zu all der Aufmerksamkeit, die das museumseigene Projekt „Königsberger Straße“ dem Leiden und Leben deutscher Vertriebener widmet.
Beschert so eine Hinwendung zur NS-Zeit dem Museum künftig jene Art „alternativer“ geschichtspolitischer Stunts, wie man sie vermehrt aus KZ-Gedenkstätten hört? Eine Stimme, wonach die museale Aufbereitung der Ley-Bude das Leid der deutschen Bombenopfer zu wenig berücksichtige, erhob sich prompt schon Ende Mai. Alexander Diehl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen