die ortsbegehung: Der Pfarrer und das Säuseln der guten Luft
Bad Wörishofen ist ein Kurort durch und durch. Pfarrer Sebastian Kneipp begründete ein Geschäftsmodell, das auf die heilende Kraft des Wassers und der Ruhe setzt
Aus Bad Wörishofen Thomas Vogel
Vom Bahnhof herkommend, stößt der Gast sehr bald auf Stolpersteine. Aha, denkt er, die Stadt hat also noch eine zweite Geschichte! Worauf er nach Anhaltspunkten sucht. Liselotte Pulver liest er auf einem der Steine aus Messing, auf weiteren: Hansjörg Felmy, Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová, Vilsmaiers Ehefrau. Aha, denkt der Gast, ein Walk of Fame!
Er sieht auf und bemerkt das Kino, das vor ihm liegt. Das „Filmhaus Huber“ listet auf dem Gehweg die Promi-Gäste auf, die in glanzvollen Tagen hierher zu den Premieren kamen. Die Ähnlichkeit mit den „echten“ Stolpersteinen, auf die der Gast an anderer Stelle im Ort stoßen wird, ist frappierend.
Handzahme Eichhörnchen
Der Gast bin ich, und hergeführt hat mich ein zutiefst privates Interesse: Hier in Bad Wörishofen, gelegen südlich von Ulm in Bayrisch-Schwaben, hat meine Lieblingsoma kurend ihre Urlaube verbracht. Was immer mit Besuchen verbunden war, mit der Konsultation eines Cafés, opulenter Torte, Spaziergang, handzahmen Eichhörnchen, die sich aus der Hand füttern ließen. Glückliche Kindheitserinnerungen, die nach einem halben Jahrhundert aufgefrischt werden wollten.
Die Konzertmuschel für die Auftritte des Kurorchesters, sie gibt sie noch. Ansonsten bleibt die Suche nach Vertrautem weitgehend ergebnislos. Obwohl in einem Kurort die Uhren gemeinhin langsamer ticken, weil hier alles unter dem Vorzeichen der Entschleunigung steht. Der Kurpark hat zugelegt, ist größer geworden, reicher an Attraktionen und führt direkt in die freie Landschaft. 30 Minuten Gehzeit sind für ein Waldlokal ausgeschildert, erreichbar ist es locker in 20 Minuten. Tu langsamer!
Allgegenwärtige Ratschläge
Sebastian Kneipp (1821–1897), am Ort wirkender Pfarrer, Kaltwassertherapeut und Übervater der Kleinstadt, ist omnipräsent. Neben den zahlreichen Memorabilien und Kneippbecken zum Wassertreten liegt dies auch an den allgegenwärtigen Ratschlägen: „Kneipp hilft … Bei Husten mit warmen Wickeln“, steht auf einer Tafel, „… Bei Schlaflosigkeit mit nassen Strümpfen“. Kaum ist der eine Lehrpfad absolviert, folgt schon der nächste, Überkreuzungen inbegriffen. Als Diagnose käme Überpädagogisierung in Frage.
Um die segensreiche Wirkung von Pflanzen hatte sich Kneipp ebenso gekümmert. „Probieren Sie nur“, ermuntert ein Gärtner, der im Kräutergarten des Kurparks gerade ein Beet pflegt. Als man auf die Gefahren von Giften verweist, meint er nur, Reiben, Riechen und Betrachten zählten genauso. Ein mustergültiger ganzheitlicher Ansatz, der hier aufploppt.
Die Oma hatte immer im „Sebastianeum“ residiert. Dem 1889 vom „Wasserdoktor“ gegründeten Kurhaus ging vor zwei Jahren der Atem aus, heute ist es darin eine Klinik untergebracht. Der Strom der Veränderung legt selbst in Bad Wörishofen keinen Stopp ein.
Und überhaupt, die glanzvollen Tage sind auch hier vorüber, bemisst man sie rein quantitativ nach der Gästezahl. Bad Wörishofen hat einen ziemlichen Aderlass hinter sich, wie so viele Kurorte, bedingt durch Einsparungen der Kassen. Zählte man in den Zeiten von Omas Besuchen noch 1,4 Millionen Nächtigungen im Jahr, sind es inzwischen nur noch 580.000. Viele Betriebe mussten schließen.
Unglücklich schaut die 17.000-Einwohner-Kleinstadt deswegen nicht aus. Geboten wird gehobenes Flair, sorgsam geschützt. „Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten“, mahnen Schilder in pädagogischer Dialektik.
Der wirkliche Feind aber ist der Lärm. Kaum zu glauben, dass hier einmal die Toten Hosen aufgetreten sind. Aber das Jugendzentrum, dem dieser Coup gelang, lag weitab vom Schuss.
Die Besonderheit
Dass ein einziger Mensch (Sebastian Kneipp) es schaffen konnte, seinen Heimatort weit über seinen Tod hinaus nachhaltig zu prägen, ist schon bemerkenswert. Doch die Zeiten, da die kurenden Gäste wochenlang blieben oder als Romanfigur sich gar sieben Jahre in einem Wachtraum verloren, sind vorbei. Durchschnittlich verbringen die Gäste in Bad Wörishofen 4,3 Nächte in der Stadt. Sie müssen sich also ganz schön sputen beim Entschleunigen.
Das Zielpublikum
Eher die Leisen unter den Zeitgenossen. Und vermutlich eher diejenigen, die zumindest etwas Vermögen haben.
Hindernisse auf dem Weg
Auf der Eisenbahnstrecke München–Memmingen geht es bis Türkheim, von dort führt eine Stichbahn ins nahe Bad Wörishofen. Na gut, die A 96 rauscht auch nahe dran vorbei.
Heute gibt es Lärm um ganz anderen Lärm. Ein Aufregerthema bildete zuletzt „die Krähenplage“, offenkundig eine Verschwörung. Oder Ironie des Schicksals? Ruchbar wurden zuletzt laut Lokalzeitung ein Glascontainer, der es richtig krachen lässt, sowie ein missglückter Bahnübergang, an dem die Züge pfeifen müssen.
Eintritt in die Therme ab 16
Dabei sind die Lärmschutzregeln in der „Gesundheitsstadt“ so streng, dass sie im Sommer einem Bauverbot gleichkommen, Baubeteilige schlagen deswegen schon auf die Pauke. Um lärmende Jugendliche fernzuhalten, gibt es Eintritt ins örtliche Thermen-Paradies in der Regel erst ab 16.
Eichhörnchen haben sich bei meinem Besuch keine blicken lassen, aber der Kuchen war gut wie einst. Auf dem Rückweg verscheucht dann ein Gärtner im Kurpark ein paar kickende Jungs. Und so werden die akustischen Verhältnisse wieder dominiert vom Säuseln der guten Luft.
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