piwik no script img

die ortsbegehungGrauen in der Idylle

Am 20. Januar jährt sich zum 83. Mal die Wannsee-Konferenz, auf der die Nazis den schon begonnenen Mord an Juden bis ins Detail organisierten. Ein Besuch am Tatort

Ein Gefühldes Grauens schwingt beim Vorbeipaddeln mit  Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Berlin Stefan Alberti

Da ist es wieder. Dieses Gruseln, dieser zynisch anmutende Widerspruch. Wenn dieses Haus doch wenigsten in einer öden Weite stünde, ein betonstarrer Bunker wäre. Aber nein. Das Haus der Wannsee-Konferenz, heute eine Gedenk- und Bildungsstätte, ist eine Villa in der beliebtesten Ausflugsgegend im Südwesten Berlins.

Boote sind direkt nebenan festgemacht, ein paar hundert Meter weiter gibt es eine beliebte Badestelle. Quer über den Wannsee ist das gleichnamige Strandbad im Blick und nur wenige hundert Meter entfernt lassen sich Bilder von Max Liebermann in dessen früherer Villa anschauen.

Genau in dieser Ballung von schöner Landschaft, Lebensfreude und Gutbürgerlichkeit war es, dass 15 Männer sich am 20. Januar 1942 auf die Grundzüge dessen verständigten, was im späteren Protokoll als „Endlösung“ auftaucht: die Ausweitung und Perfektionierung der Ermordung von schließlich rund sechs Millionen Juden. Mit am Tisch: SD-Chef Reinhard Heydrich, Adolf Eichmann und der spätere Vorsitzende des Volksgerichtshofs, Roland Freisler.

Schon drei Mal verfilmt

Das dreistöckige Gebäude liegt nicht etwa versteckt, sondern gut sichtbar, sowohl von der Straße wie auch vom Wasser aus. Diese Präsenz führt dazu, dass stets ein Gefühl des Grauens mitschwingen kann, beim Vorbeiradeln oder -paddeln. Drei Mal schon wurde jenes Treffen verfilmt (von Hollywood bis ZDF) das nur knapp eineinhalb Stunden dauerte und doch so überaus folgenreich war.

Am Morgen des taz-Besuchs ist der Himmel ähnlich grau und bedeckt wie ihn Wetteraufzeichnungen für jenen Dienstagmorgen vor 83 Jahren beschreiben. Minus zehn Grad soll es gehabt haben, als Vertreter von Partei, SS, Ministerien und der Verwaltung der Ostgebiete sich zu dem trafen, was laut Einladung eine „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ war.

Das Wie und Wo der Deportationen

Es ging dabei nicht etwa darum, die Ermordung der Juden zu beschließen – die hatte längst begonnen. Ziel war es stattdessen, die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten zur Vernichtung zu organisieren. Es geht laut Protokoll viel um das Wie und Wo und bisherige Erfahrungen, von denen etwa der SS-Führer Rudolf Lange berichten soll, der tags zuvor bei Riga noch eine Massenerschießung kommandiert hat. Das ist heute in eben jenem Raum mit Holzparkett nachzulesen, in dem man mit Seeblick zusammensaß.

Bei der Nüchternheit und Abgebrühtheit der Äußerungen kann man in den Verfilmungen kurz hoffen, da habe ein Ministeriumsvertreter doch Skrupel, weil er unruhig zu werden scheint und schließlich dafür plädiert, „Mischlinge“ von den Deportationen auszunehmen. Ein Rest an Menschlichkeit? Nein. Um „Verwaltungsaufwand“ geht es ihm laut Zitat der Ausstellung.

Das Haus der Wannsee-Konferenz hat sich wie andere NS-Erinnerungsorte vergangene Woche empört über die von der Leitung zeitweise tolerierte Hörsaalbesetzung der Alice-Salomon-Hochschule im Ortsteil Hellersdorf geäußert. „Entsetzt und beschämt“ sei man. Parolen wie „From the River to the Sea“, „Hamas, mein Liebling“ oder Transparente wie „No Places for Zionists“, seien unerträglich und nicht hinzunehmen.

Nur zwölf Kilometer weiter westlich, in zweieinhalb Stunden Spaziergangs immer am Wasser entlang zu erreichen, war im November 2023 in einem Gästehaus bereits etwas geschehen, was etwa der damalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert als „Wannseekonferenz 2.0“ bezeichnete. Rechtsextreme und ihnen Nahestehende hatten dort über eine „Remigration“ gesprochen, über eine Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund. Der Zentralrat der Juden warnte allerdings schnell vor einem solchen Vergleich, weil der Holocaust „singulär in der Geschichte“ sei.

Ein neues Seminarhaus

Nix wie hin

Die Besonderheit

Die Ballung von Historie: Keine 500 Meter weiter steht die Liebermann-Villa – das Sommerhaus von Max Liebermann – mit Garten und wechselhafter Geschichte, das Ganze spielt sich zudem am Wannsee ab, den sowohl Conny Froboess („Pack die Badehose ein“) wie auch die Ärzte („Westerland“) besungen haben.

Das Zielpublikum

Geschichtsinteressierte, Schulklassen aus Berlin und aus ganz Deutschland auf Hauptstadtbesuch. Sollte am besten Pflichttermin auch für Holocaust-Leugner und „From the river to the sea“-Skandierer sein.

Hindernisse auf dem Weg

Wenige bis keine: Das Haus der Wannsee-Konferenz ist sehr gut angebunden – vor dem Gebäude gibt es eine gleichnamige Haltestelle. Mit der S-Bahn-Linie 1 und dem Bus 114 sind es bloß 45 Minuten vom Trubel des Potsdamer Platzes in Berlins Mitte bis zur trügerischen Vorortidylle

Das Haus mit der Adresse „Am Großen Wannsee 56–58“ ist indes keine unveränderte museale Bewahrung des Andenkens an ein Treffen mit grauenvollen Folgen. Ein neues Seminarhaus, anders als die Villa mit modern geschwungenem Dach, dient seit Oktober als Tagungsort mit drei Seminarräumen.

Es liegt am Rande des Parks, der die Villa umgibt, von der es eine leichte Böschung zum Wannsee hinabgeht, an dessen Ufer mehrere weiße Bänke stehen. Sitzen und, bei weniger grauem Wetter, sonnen kann man hier, manches verdauen, was drinnen zu lesen und zu hören gewesen.

Auf einer Stelltafel ist beschrieben, dass nicht alle allein historisches Interesse herführt: „Für manche scheint vor allem die Funktionalität zu überwiegen. So wird das Gelände mit seinen Toiletten nicht selten zum Zwischenstopp auf Fahrradausflügen.“

Aber wäre das so schlimm? Könnte ja auch sein, dass gerade auf dem Gang zum WC der Blick ungewollt doch an einem Foto, einer Zahl, einem Schriftzug hängenbleibt – und einen dann auf der Fahrradweiterfahrt noch weiter nachdenken lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen