piwik no script img

die erklärungWie teuer wird Weihnachten?

Steigende Preise und Lieferengpässe – die wichtigsten Fragen und Antworten zur Inflation

Von Svenja Bergt und Felix Lee

1Ob an der Tankstelle, im Elektro-Großhandel oder an der Supermarktkasse: Gefühlt wird es überall teurer. Was ist gerade los?

Preissteigerungen merken wir derzeit in vielen Bereichen – eine unvollständige Auswahl: Holz und andere Baumaterialien, IT-Geräte, Getreide, Obst und Gemüse, Autos (kaufen und mieten), Wohnwagen, Papier, Kunststoffe, Strom und Gas. Manches ist direkt an der Kasse zu spüren. Bei Kunststoffen oder Papier aber schlägt es sich eher indirekt nieder, wenn die Preise für Spielzeuge und – so die Prognosen – auch für Bücher steigen. Doch nicht nur einzelne Konsumartikel werden teurer, auch Lebensmittelpreise steigen. Inzwischen spiegelt sich das in den offiziellen Zahlen wider. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, legten die Verbraucherpreise im September gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,1 Prozent zu – der höchste Wert seit 28 Jahren.

2 Es wird nicht nur teurer, vieles bekommt man derzeit gar nicht. Wie kann das sein?

Das hängt mit den Lieferengpässen zusammen. So ist etwa eine besonders nachgefragte Spielekonsole (PS5) seit einem Jahr auf normalem Wege so gut wie gar nicht erhältlich. Auch wer derzeit einen neuen Laptop braucht, ein Fahrrad oder Sneakers kaufen will, wird bei einigen Modellen auf unbestimmte Zeit vertröstet. Es fehlt zudem an Geschirrspülmaschinen und Kühlschränken. Sieben von zehn Ein­zel­händ­le­r:in­nen geben laut Münchner Ifo-Institut an, dass sie derzeit nicht mehr alles bekommen, was sie bestellen.

3 Wie konnte es so weit kommen?

Teilweise haben die Preissteigerungen die gleiche Ursache – teilweise unterschiedliche. Dass zum Beispiel Autos und Elektronikgeräte teurer werden, liegt daran, dass auf dem Markt ein Mangel an Mikrochips herrscht. Vor der Pandemie waren Chips wegen der Großhersteller vor allem in Ostasien schier unendlich verfügbar. Zu Beginn der Pandemie kappten die Autohersteller leichtsinnig einen Großteil ihrer Bestellungen, weil sie mit einem geringeren Absatz rechneten. Doch schon im Herbst 2020 gab es die ersten Meldungen über einen Lieferengpass. Denn womit die Auto-Manager offenbar nicht gerechnet hatten: In der Pandemie verbrachte die halbe Welt ihre Zeit vor dem Computer, am Smartphone oder vor anderen Bildschirmen. Die Nachfrage nach Chips explodierte. Inzwischen lassen sich durch den Chipmangel die Geräte nicht fertigstellen, durch das sinkende Angebot steigen die Preise.

4 Warum werden auch Lebensmittel und Gas teurer?

Die höheren Preise für landwirtschaftliche Produkte – also Getreide, Obst und Gemüse – hängen laut Statistischem Bundesamt damit zusammen, dass die Ernte hierzulande dieses Jahr eher gering ausfiel und auch in anderen Ländern die Ernteprognosen gesenkt wurden. Der Handel gibt die gestiegenen Preise an die Ver­brau­che­r:in­nen weiter. Bei den Gaspreisen ist dagegen ein Dreiklang aus Marktpreis, Netzentgelten und Abgaben, wie etwa der CO2-Preis, Ursache für die Preissteigerung.

5 Und das erklärt zusammen die höchste Inflation seit fast 30 Jahren?

Nein, zwei Gründe wiegen schwerer. Etwa der sogenannte Basiseffekt, der auf die coronabedingte Senkung der Mehrwertsteuersätze zurückzuführen ist. Die Regierung hatte die Mehrwertsteuer in der zweiten Jahreshälfte 2020 im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise bei Lebensmitteln von 7 auf 5 Prozent gesenkt, was viele Waren und Dienstleistungen günstiger machte. Jetzt kehrt sich dieser Effekt um. Ungefähr ein Prozentpunkt der derzeitigen Inflationsrate geht darauf zurück, hat aber nur eine vorübergehende Wirkung. Ab Januar fällt dieser Effekt weg.

6 Okay, und der zweite Grund?

Die steigenden Energiepreise sind für rund die Hälfte der Teuerung in der Eurozone verantwortlich. „Auch wenn jetzt schon eine Vier vor dem Komma steht, darf man diese Entwicklung (der Inflation) vorläufig nicht dramatisieren“, sagt daher Ökonom Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut. „Der Preisschub reflektiert zunächst einmal die erfreulich kräftige und umfassende Erholung der Binnen- und Weltwirtschaft nach dem tiefen Absturz in der Pandemie.“ Würden wir den Sondereffekt mit der Mehrwertsteuer also aus der Inflationsrate herausrechnen und den Durchschnitt der vergangenen zwei Jahre ermitteln, ergäbe sich eine Inflationsrate von unter zwei Prozent. Genau der Wert, den die Europäische Zentralbank für eine gesunde Wirtschaft für optimal hält.

7 Kann die Inflation trotzdem außer Kontrolle geraten?

Ja, diese Gefahr besteht. Kerstin Bernoth, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, spricht von „selbsterfüllender Prophezeiung“. Sie sorge sich weniger um die Lieferengpässe. Diese sollten sich 2022 auflösen. „Gefahr droht eher von den Erwartungen, zu der auch gerade die alarmistische Berichterstattung beiträgt.“ Was sie damit meint: Wenn Firmen und Geschäfte erwarten, dass alles teurer wird, erhöhen sie quasi vorauseilend ihre Preise. Ar­beit­neh­me­r:in­nen wiederum fordern entsprechend höhere Löhne. Eine Lohn-Preis-Spirale könnte in Gang kommen. Nur die Erwartung, dass alles teurer wird, könnte die Preise in die Höhe treiben. Hohe Inflation wäre dann real. Die Wirtschaftsinstitute fragen aber regelmäßig bei Markt­be­ob­ach­te­r:in­nen die Inflationserwartung ab. Und momentan deutet wenig darauf hin, dass sie mit davongaloppierenden Preisen rechnen.

8 Falls die Preise weiter steigen – was könnte etwa im Lebensmittelbereich helfen?

Staaten können zum Beispiel Subventionen einführen oder Exporte einschränken. Das muss aber im Einklang mit internationalen Regeln stehen, etwa von EU oder WTO. Gerade für Deutschland wäre eine andere Maßnahme denkbar: die Senkung der Mehrwertsteuer für unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse, also Obst, Gemüse und Getreide.

9 Sinken manche Preise auch?

Ja, zum Beispiel die für Schweinefleisch. Maßgebliche Ursache dafür ist die Afrikanische Schweinepest. Im September vergangenen Jahres wurde der erste Fall bekannt, in dem ein Wildschwein an der Krankheit starb, als Folge brachen die Exporte ein. Denn auch Hausschweine können an der Seuche erkranken.

10 Was heißt das für Weihnachten? Mehr Schweinefleisch, weniger Geschenke?

Das ist eine Option. Allzu dramatisch sollten die steigenden Preise aber nicht gesehen werden. Eine Inflationsrate von 4 Prozent bedeutet zwar für je­de:n einen minimalen Kaufverlust. Wer jetzt aber darüber schimpft, die Inflation würde den Geldwert auffressen, der sollte sich fragen, ob er sich vor einem Jahr gefreut hatte, als sich der Geldwert erhöhte. Damals lag die Inflationsrate bei minus 0,2 Prozent. Fiel wahrscheinlich keinem auf. Aber zunächst müssen die Geschenke ja überhaupt lieferbar sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen