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Die Linke braucht mehr BasisAlltagskämpfe in den Vordergrund

Gastkommentar von Jona Rausch

Linke Ideen und deutsche Lebensrealitäten klaffen noch immer auseinander. Auf die guten Wahlergebnisse muss die Partei jetzt mit Basisarbeit aufbauen.

Lebensrealität: Ohne die ‚Tafel‘ kommen viele Menschen nicht über die Runden Foto: Malte Ossowski/Sven Simon/imago

Operation Silberlocke“ und ein intensiver Haustürwahlkampf – bei der Bundestagswahl hat die Linke ihre Stimmen verdoppelt. Auch die Neuaufstellung der Partei, die Klassenfrage wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, scheint ein Hauptgrund für den Erfolg zu sein: Mietwucher-Check, Reichensteuer und Plakate, auf denen steht „Ist der Einkauf zu teuer, macht ein Konzern Kasse“.

Jona Rausch

studiert literarisches Schreiben in Leipzig. Sie ist Herausgeberin der Jahresanthologie des Deutschen Literaturinstituts Leipzig Tippgemeinschaft 2023.

Obwohl ich diesen Kurswechsel begrüße, erreicht die Linke noch nicht diejenigen, die am meisten unter sozialer Ungleichheit leiden. Die Zahlen zeigen eine klare Tendenz: Während 10 Prozent der Wäh­le­r*in­nen mit Hochschulabschluss die Linke wählten, waren es bei Haupt­schul­ab­sol­ven­t*in­nen nur 5 Prozent. Auch jeweils 8 Prozent der Ar­bei­te­r*in­nen und der Personen mit mittlerer Reife haben ihr bei der letzten Wahl ihre Stimme gegeben.

Wer sich politisch organisiert, tut dies meist aus Überzeugung oder aus Notwendigkeit. Ein Blick in andere Länder, etwa auf die argentinische FOL, zeigt, dass sich aus einer Organisierung, die sich auf Alltagskämpfe fokussiert, eine klare Überzeugung entwickeln kann. Sie definiert sich als antifaschistisch und antipatriarchal, der Großteil ihrer Praxis besteht jedoch darin, Alltagskämpfe für ihre Mitglieder zu führen: Wohnungen und Essen organisieren zum Beispiel.

Dort, wo es um Notwendigkeiten geht, muss die Linke präsent bleiben. Die Kluft zwischen linker Theorie und der Lebensrealität vieler Menschen bleibt groß. Klassenpolitik in akademischen Kursen zu thematisieren, reicht nicht – sie muss praktisch und langfristig erfahrbar werden. Linke müssen aktiv in Jugendzentren, Vereinen, Tafeln und Gewerkschaften sein, mit Menschen über ihre Probleme reden und gemeinsam daran arbeiten.

Selbstermächtigung und die Verbesserungen der Bedingungen sind die ersten Erfolgsergebnisse, durch die sich aus Notwendigkeiten linke Überzeugungen aufbauen können. Die Erfahrung von Verbesserungen fördert nicht nur die Lebensqualität, sie hilft auch, Überzeugungen massenfähiger zu machen.

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5 Kommentare

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  • Die Linke profitiert vom Erstarken der Afd in einer Art Gegenbewegung und eher nicht von ihrem Ruf konkrete Probleme zu lösen. Es wäre schön, würde sich das ändern, aber weder das Personal der Linken, noch die präsentierten "Konzepte" haben bisher irgendeine tragfähige Lösung dabeigehabt.

  • Es macht für eine Partei immer Sinn, konkrete Vorschläge zu konkreten Problemen zu machen. Für die prekär Beschäftigen, für die Arbeitslosen, für die sozial Benachteiligten sind „Probleme“ wie ein Sabbatjahr für Akademiker nicht relevant.



    Die Linke muss das werden, was die SPD früher einmal war, die Partei für die „kleinen Leute“, Mieter, Arbeitnehmer usw. All diejenigen die absurderweise die AfD, also eigentlich ihren größten Feind, in großer Zahl wählen, dann hat sie ein Potential, das früher einmal die SPD hatte.

    • @Bambus05:

      Ja, und was nutzen die Vorschläge. Meinen Sie etwa Union und SPD Regierung würden die übernehmen. Mit 8,8 % in der Opposition kann die Linke gar nichts machen. Während der Ampelregierung hat die Linke in 3 Jahren über 700 Kleine Anfragen gestellt. Das war es aber auch.

  • Die Linke geht den richtigen Weg und es ist erstaunlich, dass sie damit in so kurzer Zeit so großen Erfolg hatte.

    Sie muss aber unbedingt weiter machen: Alltagsprobleme lösen und Glaubwürdigkeit durch Gehaltsverzicht.

    Die Kritik richtet sich immer gegen die außenpolitischen Positionen, die aber momentan gar nicht relevant sind bei einer Oppositionspartei (natürlich sollte die Linke hier ehrlich sein, aber die anderen Parteien auch).

    Vor einigen Tagen traf ich einen Rentner in der Nähe der Kita meines Sohnes, der ängstlich war, weil die Tafel an diesem Tag unvorhergesehen geschlossen hatte.

    Das ist die soziale Realität hier!

    Und das sind die Menschen, mit denen sich die Linke verbünden muss und denen sie Hoffnung und Wege aus der Isolation und Demütigung zeigen kann. Es gibt solche Armut viel zu viel im superreichen Deutschland.

    Aus diesen Bündnissen können erst Netzwerke gegenseitiger Hilfe und später der gesellschaftlichen Veränderung werden.

    Die Linke hat den großen Vorteil, dass sie nicht um "Brosamen bürgerlicher Anerkennung" durch Linnemann und Co. betteln muss - das kann sie anderen Parteien überlassen.

    • @Stavros:

      Die Linke hatte bei der vorletzten Wahl 4,8 % und jetzt 8,3 %. Was sollen die denn im Bundestag ereichen. Gar nichts ausserAnfragen stellen