die dritte meinung: Dass die Linkspartei dem Neoliberalismus verfallen sei, stimmt nicht, sagt Lorenz Gösta Beutin
ist Bundestagsabgeordneter und klima- und energiepolitischer Sprecher der Linksfraktion. Als Historiker hat er u. a. über die Geschichte des Nationalsozialismus gearbeitet.
„Rechte der Homosexuellen oder die Rechte der Migrantinnen und Migranten rücken in den Mittelpunkt des linken Diskurses“, empört sich Oskar Lafontaine im Interview mit der taz.
Er beruft sich dabei auf die Philosophin Nancy Fraser. Die zugrundeliegende These der US-Feministin vom „progressiven Neoliberalismus“ stimmt: Die „Neue Linke“ der Blairs, Schröders und Clintons treibt Sozialabbau, Privatisierung, Kriege voran. Gleichzeitig täuschten diese Pseudo-Linken Fortschrittlichkeit vor, „indem sie auf Vielfalt, Multikulturalismus und Frauenrechte schworen“. Hinter dieser progressiven Fassade erfolgte der Angriff auf soziale Sicherheiten.
Lafontaine dreht diese Beobachtung aber gegen die Linkspartei und ihre Führung. Sie verbünde sich „mehr oder weniger mit dem vorherrschenden neoliberalen wirtschaftlichen Denken“. Was für ein Fehlschuss! Ein Blick auf Wahlplakate, Programme, Reden und Aktionen reicht, um zu sehen, dass Die Linke die soziale Agenda knallrot auf ihren Fahnen trägt. Das Soziale unbeirrt mit Solidarität und Internationalismus verbindet.
Wenn Lafontaine die „Sicherung der europäischen Außengrenzen“ befürwortet, Migranten und Homosexuelle gegen deutsche Arbeitnehmer ausspielt oder „Lohn- und Mietkonkurrenz“ als Fakt hinstellt, akzeptiert er gesellschaftliche Spaltungen, die der Neoliberalismus vorgibt. Fraser geht es im Gegensatz dazu um eine solidarische Klassenpolitik, die neoliberale Politik von links angreift, die nicht gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielt, sondern unterschiedliche soziale Kämpfe – von Arbeiter*innen, Erwerbslosen, Frauen, Migrant*innen und anderen – neu miteinander verbindet:
„Zu dieser neuen Linken gehören aber eben auch Kurskorrekturen, hin zu einer solidarischen Linken. Diese kämpft um soziale Gerechtigkeit und für Emanzipation und Vielfalt.“ (Fraser)
Im besten Fall hat Lafontaine Fraser nicht verstanden. Im schlimmsten Fall will er uns, wenige Tage vor dem Parteitag in Leipzig, für dumm verkaufen.
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