die dritte meinung: Problematische Wähler zurückzugewinnen ist möglich – wie es gehen könnte, sagt Jan Korte
Jan Korte
Jahrgang 1977, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Mitglied im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der nebenstehende Text ist die gekürzte Fassung. Das ungekürzte Original ist bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen: rosalux.de
„Es gibt Linke, die hinter vorgehaltener Hand von einem Reinigungsprozess sprechen. Die problematischen Wähler wenden sich ab und werden ersetzt von einem jungen, weltoffenen, urbanen Milieu“, war in der taz vom 30. 9. 2017 zu lesen. Ich halte diese Denke für grundfalsch: Denn wer diejenigen abschreibt, die bei geselligen Anlässen lieber Bockwurst mit Schrippe essen, die über die falschen Witze lachen, sogar Ressentiments im Kopf haben, der begibt sich auf den Weg der Grünen. Das darf Linken nicht passieren, denn jeder Mensch hat ein Recht auf Beachtung und Respekt und es sind die Verhältnisse, die geändert werden müssen.
Wir müssen uns mehr mit den Schicksalen vieler auseinandersetzen, wenn wir als politische Vertretung wahrgenommen werden wollen: Wenn Kinder ausgegrenzt werden, die Rente nicht reicht, wenn Familien in Turnhallen leben, wenn die Leiharbeit Menschen zu Sklaven degradiert, dann ist das strukturelle Gewalt. Sich für die eigene Armut, Abhängigkeit oder Degradierung zu schämen hält Menschen klein und hindert sie, selbstbewusst für ihre Rechte und ihre Würde zu streiten. Eine glaubwürdige Linke muss der Scham den Kampf ansagen und die Gewalt beenden.
Wie wäre es also, für einen Fünf-Jahres-Plan zu kämpfen, der jeder mittleren Kommune wieder ein Schwimmbad und eine Bibliothek zur Verfügung stellt? Wie wäre es, die Wiederverstaatlichung der Bahn, des städtischen Raums oder aller kommunalen Energieversorger auf die Tagesordnung zu setzen? Das wären erkämpfbare, konkrete Klammerthemen, die wir als Linke vorantreiben sollten, nachdem wir in den letzten Jahren vor allem mit der Abwehr von Angriffen auf den Sozialstaat, die Bürgerrechte etc. beschäftigt waren.
Kann das funktionieren? Ja. Wir haben es 2009 schon einmal geschafft, dass uns viele aus einer Abwägung ihrer Interessen heraus gewählt haben. Und aktuell hat es Jeremy Corbyn mit einer klaren und glaubwürdigen linken Agenda geschafft, Gebiete zurückzuerobern, in denen vor einem Jahr die Mehrheit für den Brexit gestimmt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen