der stölzl-vergleich: Die wehrlose Geschichte
Es ist schon zweifelhaft, ob eine einzige Wirklichkeit existiert. Unbestritten ist jedenfalls, dass es nicht nur eine Anschauung von Wirklichkeit gibt, zumal keine einzig richtige. Das hat zur Folge, dass es auch keine einzig richtige Interpretation von Geschichte geben kann, ist sie doch nur die Erinnerung an die Wirklichkeit von gestern.
Kommentar von PHILIPP GESSLER
Das wissen Historiker natürlich, weshalb es keine endgültige Geschichtsschreibung geben kann: Jede neue Generation stellt andere Fragen an die Vergangenheit. Die Geschichte kann sich nicht wehren. Wie bei der Bibel ist aus ihr fast alles rauszulesen. Das macht den politischen Kampf mit ihr so heikel.
Dennoch gehören Nazigeschichtsvergleiche offenbar zu den Lieblingsbeschäftigungen des deutschen Politikpersonals. Die bald Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin konnte es nicht lassen. Auch der CDU-Landeschef Christoph Stölzl nicht. In beiden Fällen sind die Nazivergleiche indiskutabel: historisch falsch, intellektuell dürftig, politisch billig.
Dass ausgerechnet der Historiker Stölzl die Nazivergleichskeule schwingt – man hätte dem Intellektuellen ein höheres Niveau zugetraut. Wenn Stölzl das rot-grüne Wahlergebnis mit Wahlsiegen der Nazis und auch damals fehlender Nüchternheit vergleicht, so fehlt dem Vergleich selbst Nüchternheit. Stölzl kritisiert hysterisch Hysterie – und erhält sogleich hysterische Rücktrittsforderungen.
Dennoch sollte sich Stölzl, gerade als Historiker, für den Vergleich entschuldigen und sich inhaltlich korrigieren. Ein Rücktritt wäre überzogen. Der würde dummem Geschwätz viel zu viel Ehre antun.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen