der kommentar: Deutschland missbraucht EU-Konvent – als Altersruhesitz
Die Bundesregierung hat es geschafft: Deutschland wird im EU-Verfassungskonvent mit einem Regionalligateam vertreten sein – obwohl dort die wichtigste Reform der Union seit ihrer Gründung vorbereitet wird. Deshalb entsenden Frankreich und Großbritannien ihre Europaminister, Tschechien und Belgien sogar ihre Außenminister. Berlin dagegen schickt Peter Glotz, der sich schon vor Jahren aus der aktiven Politik an eine Universität zurückgezogen hat.
Ja wenn er sich dort mit EU-Politik beschäftigen würde – dann könnte Glotz wenigstens mit dem österreichischen oder finnischen Regierungsvertreter mithalten. Was jedoch ein Medienexperte im Verfassungskonvent sucht, hat der Bundeskanzler bis heute nicht öffentlich erklärt. Gerhard Schröder missachtete so das Prinzip „Konvent“, das sich auch mit „Transparenz“ übersetzen lässt. Diskussionen und Entscheidungen sollen allen Interessierten zugänglich sein – dazu gehört auch die Frage, wer überhaupt in dieses Gremium entsandt wird.
Auch der Bundesrat war hier nicht besser: Mindestens vier Namen möglicher Vertreter tauchten in den letzten Wochen auf – und verschwanden wieder. Die Kriterien für eine Teilnahme am Konvent wurden nicht thematisiert. So musste am Ende einer der erfahrensten Europaminister, Bayerns Reinhold Bocklet, einem Ministerpräsidenten Platz machen, über dessen Rückzug aus der Politik in Baden-Württemberg schon lange spekuliert wird. Aber vielleicht war ja gerade das entscheidend: Erwin Teufel suchte einen Altersruhesitz, und den scheint er nun im Konvent gefunden zu haben. Die deutsche Delegation verfügt so nur über einen einzigen EU-Experten: den Bundestagsabgeordneten Jürgen Meyer. Doch auch er hat seinen Anteil daran, dass das Gesamtalter der drei deutschen Männer 189 Jahre beträgt.
Dabei war es die Bundesregierung, die 1999 den Konvent als Gremium für EU-Reformen geradezu erfand. Damals stand das rot-grüne Bündnis am Anfang und Joschka Fischer bereitete sich auf jene viel gerühmte Humboldt-Rede vor, die die Debatte für eine EU-Verfassung anstoßen sollte. Seitdem ist von Fischer europapolitisch nicht mehr viel zu hören. Spätestens beim EU-Gipfel in Nizza scheint ihm klar geworden zu sein, in welche Mühen der Ebene er hierfür hinabsteigen müsste. Da kümmert man sich doch lieber um weiter abliegende Schlachtfelder.
Die Wahl von Glotz zeigt, dass die Bundesregierung dem Konvent, der vor allem von Parlamentariern besetzt ist, keine große Bedeutung beimisst. Sie könnte sich täuschen. Schon sein Vorgänger entwickelte eine unerwartete Dynamik und überzeugte selbst britische EU-Skeptiker. So wird es die Regierung wohl bald bedauern, dort nicht besser mitmischen zu können. SABINE HERRE
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