der glühweinkrieg:
von KARL WEGMANN
Münster ist keine aufregende Stadt. Egal ob Theater oder Zappelbude, Museen oder so genannte Events – die westfälische Domstadt stellt immer wieder neue Standards in Mittelmäßigkeit auf, sie ist tiefste, vom Rest der Republik kaum beachtete Provinz. Die Schwarzen regieren die Stadt nach Gutsherrenart, und die Grünen ... Was für Grüne? Dafür gibt es mehr Drahtesel als Einwohner und eine Pfaffendichte wie im Himmel. Die Eingeborenen lieben die Religion, die als Symbol ein Folterwerkzeug verwendet. Nur Fahrraddiebe und fanatische Katholiken mögen diese Stadt also wirklich, für alle anderen gilt: Wer sich mal wieder richtig ausschlafen möchte, der ziehe nach Münster.
Aber Obacht! Diese Regel gilt nicht für eine kleine Zeitspanne im christlichen Kalender. Im Advent ist in Münster die Hölle los: Der Weihnachtsmarkt regiert die Stadt! Busse karren Scharen von Tannenbaum-Touristen in die klitzekleine Großstadt. Flitterschmuck und Folklore-Schnickschnack werden tonnenweise an die Besucher des Budenzaubers verscherbelt. Und jeder zweite Bretterverschlag ist ein Glühweinstand. Gestandene Manns- und Weibsbilder aus dem Kohlenpott kippen sich den gewürzten Wein hinter die Binde, als würde er morgen verboten. Holländische Jugendliche kotzen sich hinter dem Dom die Seele aus dem Leib und verfluchen Weihnachten. Und die Heißwein-Händler reiben sich ihre klebrigen Hände. Denn bei einem Preis von vier Mark pro Tasse lassen sich leicht himmlische Profite von 1.000 Prozent und mehr erzielen. Alle Jahre wieder – dachten sie. In diesem Jahr überfiel jedoch die New Economy den gewinnträchtigen Weihnachtsmarkt. Zwei Studenten, der eine Jura, der andere BWL, eröffneten einen Glühweinstand und füllten schon für 2,90 Mark die Becher der gierigen Trinker. Das kam gut an – bei den Kunden, nicht so bei den alten Marktbetreibern. Die jaulten gequält auf, sahen sich aber gezwungen, ihren Trink-Tarif auf 2,50 Mark herunterzuschrauben. Die Jungunternehmer schlugen gut gelaunt zurück und führten eine Happy-Hour ein. Eine feste Regel gab’s dabei nicht. Happy-Hour war immer dann, wenn die Studis ein entsprechendes Schild raushängten. Dann konnte der durstige Kunde schon für schlappe zwei Mark seine Magenschleimhaut perforieren und sich auf einer Großbildleinwand den Klassiker „Die Feuerzangenbowle“ in Endlosschleife reinziehen. Kurzum: Witz und Verstand schlugen Alter und Erfahrung. Das Ende des Glühweinmonopols war da. Genervte Althändler faselten zwar noch etwas von „Ballermann-Allüren“, waren ansonsten aber so grün vor Neid, dass sie sich den Tannenbaum sparen konnten.
Für kurze Zeit ist also Leben in der frommen Stadt. Doch allzu schnell ist das Tannengrün verdorrt und das Erbrochene getrocknet. Es gibt allerdings fürs nächste Jahr eine neue Kampfansage: Zwei Studentinnen der Sozialpädagogik haben angekündigt, das Eierpunsch-Monopol zu knacken. Das wird aufregend. Bis dahin ist allerdings noch Zeit, und die Bewohner Münsters legen sich erst einmal wieder schlafen.
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