der besondere buchtipp: Schlangen
Auf der Suche nach der eigenen Angst
Jeremy Seal hat eine Schlangenphobie. Gerade deshalb begibt er sich auf die Suche nach den übelsten Exemplaren dieser Art, in Amerika, Afrika, Australien und Asien. Ihn interessieren nur die wirklich gefährlichen Tiere: die Schwarze Mamba in Afrika, der Taipan in Australien, die Kobra in Indien und die Klapperschlange in den USA. All diese Schlangen können Menschen töten, und Seal hört von vielen Fällen, in denen sie es auch getan haben.
Wirklich faszinierend findet er aber diejenigen Leute, die den Biss solcher Schlangen überlebt haben. Ihren Spuren folgt er. In den Südstaaten der USA stößt er dabei auf die christliche Sekte der Schlangenaufheber, die nach einem – fehlübersetzten – Bibelwort das Aufheben der Schlangen als Gottesgebot betrachten und es während ihrer Gottesdienste auch fleißig betreiben. Die Mitglieder dieser Holiness Church sind einfache Leute, die oft ein wüstes Leben hinter sich haben, bevor sie zu Gott finden. Manche finden auch wieder zurück, wie der Priester Glenn Summerford. Der beschließt eines Nachmittags im Suff, der beste Weg, sich seiner Frau zu entledigen, sei, sie zu zwingen, in die Körbe mit den Klapperschlangen zu greifen, die für die Gottesdienste bereitstehen. Sie überlebt, aber bis sie es zu einem Krankenwagen schafft, hat sie ein wahrhaft biblisches Martyrium zu überstehen.
Seal gelingt es, durch solche Geschichten eine Menge über das teils perverse Fasziniertsein durch Schlangen auszusagen – und über gesellschaftliche Realitäten, die dieses Fasziniertsein zu den unheimlichsten Blüten treiben. MARTIN HAGER
Jeremy Seal: „Unter Schlangen“. Bericht eines Besessenen. Eichborn Verlag, Ffm 2000, 384 Seiten, 44 DM
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