debatte: Gesetz ohne Schlagkraft
Schon in zwei Jahren soll es EU-weit endlich ein Recht auf Reparatur geben. Das wäre ein Mittel gegen die Elektronikindustrie, die sich bereits wappnet
Das EU-Parlament hat mit seinem Beschluss zum Recht auf Reparatur endlich den Schritt getan, den es vor ungefähr zehn Jahren begann. Mit der Richtlinie wurde eine vorläufige Einigung erzielt, die noch dieses Jahr in Kraft treten soll und dann spätestens 2026 von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt sein muss. Passiert dies tatsächlich, bekommen wir ein Gesetz, das sich gegen die monopolistische Stellung von Elektronikherstellern stellt. Doch es ist wie so oft in der Politik. Der grundsätzliche Gedanke stimmt, aber in der jetzigen Form fehlt dem Entwurf die nötige Schlagkraft.
Das Recht auf Reparatur verfolgt im Kern eine politische Verpflichtung von Elektronikherstellern, ihre Produkte nachhaltig zu gestalten, sodass sie sich in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft eingegliedern. Produkte – von der Waschmaschine über den Toaster bis zur Unterhaltungselektronik wie Smartphones oder Tablets – sollen reparierbar sein, die dafür nötigen Ersatzteile sollen einfach und günstig erhältlich sein.
Die Vorteile einer besseren Reparierbarkeit liegen auf der Hand. Jede Ware verbraucht Energie und Ressourcen bei ihrer Produktion. Alles, was repariert werden kann, wird nicht neu produziert. Erwirkt das Recht auf Reparatur den gewünschten Effekt, schätzt die EU-Kommission, dass das Recht auf Reparatur innerhalb von 15 Jahren 18,5 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen sowie 1,8 Millionen Tonnen Ressourcen einspart und 3 Millionen Tonnen Abfall weniger anfallen. Außerdem sparen Verbraucher:innen bares Geld, wenn durch faire Preise für Ersatzteile eine Reparatur deutlich weniger als ein Neukauf kostet. Ebenfalls unterstrich ein offener Brief des Runden Tisches Reparatur, dass ein freier Markt für Ersatzteile lokale, mittelständische Reparaturbetriebe erheblich unterstützen würde.
Was nach einer klaren Angelegenheit klingt, hat einen ebenso klaren Widersacher: die Profitgier der großen Elektronikhersteller. Diese haben schlicht und ergreifend kein Interesse daran, langlebige Geräte zu produzieren. Wer sein Smartphone repariert, schafft keinen Umsatz. Um eine Reparatur zu verhindern, erschaffen Produzenten deshalb eine Reihe von Hürden.
Es beginnt mit der sogenannten Planned Obsolescence, also der absichtlichen Verkürzung der Lebenszyklen von Bauteilen. Apple wurde hierfür bereits 2020 in Frankreich angeklagt und verurteilt, weil die Leistung von bestimmten iPhones gezielt gedrosselt wurde. Seit vergangenem Jahr ermittelt die französische Justiz erneut. Auch das hinausgezögerte Einlenken bei der Einführung eines USB-C-Steckers zeigt, wie es Apple mit solch eindeutig sinnvollen Änderungen hält. Blockieren und verzögern, wo es nur geht.
Tim Seewöster bildet zusammen mit Stefan Groitl die Geschäftsführung von asgoodasnew. Das Unternehmen schenkt gebrauchter Unterhaltungselektronik ein zweites Leben.
Szenario Schadensfall: Das Smartphone fällt aus der Tasche oder nach circa zwei Jahren macht der Akku schlapp. Einfaches Austauschen? Fehlanzeige. Weder Privatpersonen noch Reparaturbetriebe oder Refurbisher haben Zugriff auf originale Bauteile der Hersteller. Zwar ist es möglich, für den Zugang eine Lizenz zu erhalten, dafür verlangen die Unternehmen jedoch Einsicht in firmeninterne Informationen und geben eine Reihe von Restriktionen in der Geschäftspraxis vor.
Selbst wenn eine Reparatur mit einem originalen Bauteil möglich ist, ist dies oft nicht rentabel. Der Preis für ein Display liegt nicht selten bei 500 Euro, oft mehr als die Hälfte des Gerätepreises. Auch wir müssen in unserer Reparaturwerkstatt in Frankfurt (Oder) immer wieder Reparaturen ablehnen, zu denen wir technisch in der Lage wären, die sich aber wirtschaftlich nicht rentieren.
All diesen Tricks und Methoden soll nun das Recht auf Reparatur einen Riegel vorschieben. Ein genauerer Blick in die vorgelegte Richtlinie zeigt, dass wir uns noch auf der Wunschebene befinden. Zu unkonkret, zu wenig Inhalt. Um nur eine der fragwürdigen Passagen zu zitieren: „Hersteller dürfen keine Vertragsklauseln, Hardware oder Softwaretechniken verwenden, die die Reparatur von Gütern […] behindern, es sei denn, dies ist durch legitime und objektive Faktoren gerechtfertigt.“
Was sind legitime oder objektive Faktoren? Wer legt diese fest? Die Hersteller? Werden diese Fragen weiterhin derart offengelassen, ist eine Veränderung hin zu reparierbarer Elektronik ausgeschlossen. Expert:innen warnen hier vor einem Grabenkampf zwischen dem Recht auf Reparatur und Patent-, Design- sowie Markenrechten bei jedem einzelnen Bauteil. Dies würde bedeuten, dass sich die Verfügbarkeit von Ersatzteilen um Jahre verschiebt. In dieser Zeit ist bereits ein neues Modell auf dem Markt und das Spiel beginnt von Neuem.
Ich selbst habe lange nicht geglaubt, dass ein Gesetz mit derart tiefgreifenden Eingriffen nötig ist. Mittlerweile sehe ich das anders. Am Ende stehen Margen und Profitmaximierung in der Priorität offensichtlich höher als der Gedanke einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Ich fordere hier als Erweiterung des Rechts auf Reparatur eine bessere Aufklärung über den Ressourcenverbrauch von Elektronik. Würden Verbraucher:innen auf der Verpackung darüber informiert werden, dass ein durchschnittliches Smartphone in der Produktion über 50 Kilogramm CO2 emittiert oder über 40 Kilo an Rohmaterialien verbraucht, würden sich wahrscheinlich schon mehr Menschen gegen Neuware entscheiden.
Als ebenso wichtig erachte ich einen freien Markt für Elektronikbauteile. Wo sich zum Beispiel in der Automobilindustrie niemand vorstellen kann, Zündkerze oder Reifen nur von Daimler oder BMW zu kaufen, stehen wir bei Smartphones oder Staubsaugern immer noch vor monopolistischen Strukturen. Konkurrieren jedoch die Preise untereinander, profitieren davon automatisch die Verbraucher:innen. Denn auch wenn das in der Debatte manchmal verloren geht – um diese, die Verbraucher nämlich, geht es am Ende. Also um uns alle.
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