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debatteGeliebtes Feindbild

Anlässlich der bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl in Thüringen stellt sich die Frage: Warum tut sich die Union eigentlich so schwer mit der Linken?

ThorstenHolzhauser

ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Neueste Ge­schichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.Zuletzt erschien: Die „Nachfolge­partei. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990–2005“ (De Gruyter Oldenbourg).

Als der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring nach der Landtagswahl im vergangenen Oktober ankündigte, „aus staatspolitischer Verantwortung“ und mit „offenem Herzen“ ins Gespräch mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu gehen, hörte man einen Aufschrei durch die Union gehen, der bis heute nachhallt. Diese Woche nun muss Mohrings Partei bei der Ministerpräsidentenwahl zeigen, wie offen ihr Herz tatsächlich ist.

Um Sachpolitik geht es dabei nur am Rande. Dass mit Ramelow der Sozialismus nicht zurückkehren wird, dürfte den meisten in der Union bewusst sein. Im Gegenteil könnte die CDU als „Tolerierungspartner“ einer Minderheitskoalition deutlich mehr Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen als bisher – und mehr, als Rot-Rot-Grün lieb sein wird. Warum also tut sich die Union so schwer mit der Linken?

Eine Antwort auf diese Frage findet sich in der Geschichte ihres Umgangs mit der Linkspartei und deren Vorgängerin PDS. Daran zeigt sich, dass es für die CDU um viel Grundlegenderes geht als um die Koalitionsbildung in Thüringen. Ihre Haltung zur „SED-Nachfolgepartei“ war immer von zweierlei geprägt: der Sorge um ihre strategische Position im Parteiensystem und der um ihre „anti­extremistische“ Identität. Beides steht mit Thüringen auf dem Spiel.

Vieles erinnert derzeit an den Sommer 1994. Vier Jahre nach dem Ende der DDR tat die SPD im Nachbarland Sachsen-Anhalt das, worüber sich die Union heute in Thüringen den Kopf zerbricht, nämlich eine Kooperation mit der PDS ausloten. Für die CDU war das damals „geschichtsvergessen“ und eine Gefahr für die Demokratie. „Es gibt Momente, wo man aufstehen muss und den Dingen wehren muss“, so Helmut Kohl. Dahinter stand ein politisches Glaubensbekenntnis. Seit Gründung der Union war der „anti­ex­tremistische Konsens“ ihr Leitbild gewesen. Der Glaube, dass vom linken Rand des Parteienspek­trums mindestens ebenso große Gefahren für Demokratie und Stabilität ausgingen wie von rechts, gehörte seitdem zur politischen Religion der CDU. Aus dieser Abgrenzung von den „Extremen“ leitete die Union ihr historisches Sendungsbewusstsein ab, für Maß und Mitte, Sicherheit und Stabilität sorgen zu müssen.

Unumstritten war das aber schon früher nicht. Gerade in der ostdeutschen Christdemokratie fremdelten schon in den neunziger Jahren viele mit dem Pathos, das dem westlichen Antikommunismus innewohnte: Schließlich war der Kalte Krieg vorbei und die DDR verschwunden. Manche in der Ost-CDU fragten sich, warum parlamentarische Mehrheiten mit der PDS undemokratisch sein sollten. In Thüringen stellen sich heute viele dieselbe Frage. Umgekehrt sorgte man sich damals schon im Konrad-Adenauer-Haus um die Haltung der „Parteifreunde“ in den „neuen Ländern“. Schließlich hatten diese dereinst selbst zum „Demokratischen Block“ der DDR gehört und das SED-Regime vier Jahrzehnte lang mitgetragen. Dass ostdeutsche CDU- und PDS-Mitglieder häufig gut miteinander konnten, nicht selten auch befreundet waren, sah man in der Parteizentrale als Ausdruck eines falschen Bewusstseins: Die Propaganda der SED habe „mentale Unterschiede“ hinterlassen, so Kohl. Auch das spielt heute eine Rolle: Jedes Zubewegen der CDU auf die Linke ruft unliebsame Erinnerungen wach.

Im Verhältnis der CDU zur Linken gibt es aber noch einen weiteren Aspekt, der seine Vorgeschichte hat. Denn im Adenauer-Haus wusste man immer schon: Die Warnung vor der roten Gefahr mobilisiert nicht nur die eigene Basis, sondern hilft auch, linke Bündnisse gegen die Union zu verhindern. Mancher Christdemokrat freute sich daher im Sommer 1994 regelrecht über die Entwicklungen in Magdeburg: Mit der „Volksfront“ aus SPD, PDS und Grünen würden die Auseinandersetzungen im anstehenden Bundestagswahlkampf „härter“, „wichtiger“ und „fröhlicher“. Die CDU zögerte auch nicht lange, kramte Pläne für eine längst konzipierte „Angstkampagne“ aus der Schublade und warnte mit den berühmten roten Socken auf dem Plakat vor der „Linksfront“. Auch daran wird sich Mohring dieser Tage erinnern: Verhilft er tatsächlich einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung ins Amt, dann kann es eine erfolgreiche Wiederauflage des Rote-Socken-Hits eigentlich nicht mehr geben. Dann geht der CDU einer ihrer erfolgreichsten Wahlkampfschlager verloren, der bis zuletzt rot-rot-grüne Bündnisse im Bund verhindert hat.

Schon in den neunziger Jahren fremdelten viele mit dem Pathos, das dem westlichen Antikommunismus innewohnte

Die größte Sorge bereitet der Union aber die eigene Identität. Gibt sie die Frontstellung gegenüber der Linken auf, dann droht sie ein weiteres Kernthema zu verlieren, das ihr Selbstverständnis in der Vergangenheit so stark geprägt hat wie Atomenergie, Wehrpflicht und Grenzschutz zusammen. Dass die heutige Linke, nüchtern betrachtet, längst nicht mehr dazu taugt, die kommunistische Gefahr von früher zu beschwören, ist in dieser Logik nebensächlich. Die Union braucht sie nach wie vor als Feindbild, um den eigenen Zusammenhalt zu sichern – um den es am Ende der Ära Merkel ohnehin schlecht bestellt ist.

Und noch ein Gedanke drängt sich auf, der auch aus linker Sicht beunruhigen muss. Das anti­extremistische Dogma der Union hatte zwar immer Schlagseite: Der Feind stand links. Es garantierte aber auch, dass CDU und CSU Distanz zu rechts halten mussten, wenn sie es mit „Maß und Mitte“ ernst meinten. Mit der Öffnung nach links steht für die Union daher auch die Abgrenzung vom anderen Rand des Parteienspektrums zur Debatte. Schon jetzt fragen einige in der CDU, warum man mit der Linken kooperieren solle, mit der AfD aber nicht. Auch wenn die Christdemokratie in Thüringen diesmal noch der Versuchung widersteht, mit der neuen Rechten zu paktieren, könnte die Entscheidung das nächste Mal umgekehrt ausfallen. Der „antiextremistische Konsens“ wäre damit tatsächlich in Gefahr.

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