das wird: „Raus aus der selektiven Empathie“
In ihrem Buch „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“ suchen Saba-Nur Cheema und Meron Mendel nach Gemeinsamkeiten im Unterschiedlichen
Interview Quirin Knospe
taz: Frau Cheema, Sie führen eine muslimisch-jüdische Ehe – da ist das Private derzeit ziemlich politisch, oder?
Saba-Nur Cheema: Das Private ist doch immer politisch, oder? Wir schreiben bereits seit einigen Jahren gemeinsam die Kolumne „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“. Insofern haben wir uns auch bewusst dazu entschieden, bestimmte Themen, die uns privat betreffen, öffentlich zum Thema zu machen. Häufig sind wir aber auch mit Projektionen von außen konfrontiert.
taz: Wie muss man sich die Diskussion bei Ihnen beim Abendbrot vorstellen?
Cheema: Wahrscheinlich so wie bei allen anderen Paaren. Wir haben Spaß daran, miteinander zu diskutieren. Häufig sind wir auch ganz anderer Meinung, was auch damit zu tun hat, dass wir sehr unterschiedlich sozialisiert worden sind. Meron ist sehr säkular in einem Kibbuz in Israel aufgewachsen. Ich bin in Frankfurt aufgewachsen, in einer sehr muslimisch-religiösen Familie. Er ist ein „echter Migrant“, mir wird es immer nur zugeschrieben, obwohl ich hier geboren wurde. Die Diskussionen unter uns sehen aber doch wiederum anders aus.
taz: Es geht also nicht immer um die großen Fragen der Zeit.
Cheema: Es geht natürlich auch ums große Ganze. Vor dem 7. Oktober war der Nahost-Konflikt immer wieder ein Thema – gerade mit dem Blick darauf, wie stark der Konflikt in den beiden Communitys polarisiert und wie er jüdisch-muslimische Beziehungen und den Dialog insgesamt beeinflusst oder erschwert.
Lesung und Gespräch „Muslimisch-jüdisches Abendbrot – Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung“, mit Saba-Nur Cheema und Meron Mendel:Sa, 21. 6., 17 Uhr, Hamburg, GLS Bank; So, 22. 6., 13 Uhr, Kiel, Schauspielhaus; Sa, 23. 8., 18.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel
taz: Was hilft es, kulturelle Alltagserfahrungen von anderen mitzubekommen, wenn es doch gerade um die Frage von Krieg und Frieden geht?
Cheema: Worum es uns gerade mit Blick auf die Nahost-Debatte geht, ist, zunächst etwas gegen die Polarisierung zu tun. Wir sehen noch immer, dass es Menschen sehr stark unter Druck setzt, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Viele Menschen positionieren sich eher ideologisch und haben häufig keinen persönlichen Bezug zu Israel oder Palästina. Da spielt Projektion eine ganz große Rolle. Man übernimmt irgendwelche Positionen, die man in sozialen Medien gelesen hat. Dazu kommt, dass viele ihre Informationen dort beziehen, allerdings wissen wir: Es werden ordentlich Desinformationen darüber verbreitet, was in Israel und Palästina „tatsächlich“ geschehen würde.
taz: Wie soll man auf so einer Grundlage diskutieren?
Cheema: Mir geht es eher darum, auch die Perspektive des Gegenübers zu akzeptieren. Auch wenn ich nicht zustimme, sollte man versuchen, die andere Perspektive anzuerkennen und raus aus diesem Modus der selektiven Empathie kommen. Man kann eben pro-israelisch und pro-palästinensisch sein, indem man sich auf die Seite der friedlichen Kräfte stellt. In der öffentlichen Debatte hierzulande dominieren leider die jeweiligen extremistischen Positionen.
taz: Sie und Ihr Mann werden immer wieder für Ihre Positionen und den „Verrat“ an Ihren Religionsgemeinschaften kritisiert. Wie gehen Sie damit um, ständig die „falsche“ Position zu vertreten?
Cheema: Der Konformitätsdruck ist innerhalb der jüdischen und auch der muslimischen Gemeinden sehr groß – gerade mit Blick auf den Nahostkonflikt. Man will irgendwie zusammenhalten, aber jeder, der eine Meinung vertritt, die nicht dem „Mainstream“ entspricht, kriegt es mit Hass und Hetze zu tun. Ich finde es wichtig, dass wir einander konstruktiv kritisieren – auch innerhalb der Communitys. Aber es ist etwas anderes, wenn mir abgesprochen wird, Muslimin zu sein, und ich als „Verräterin“ beschimpft oder bedroht werde. Dann sind wir natürlich nicht mehr bei Kritik.
taz: Wie gehen Sie damit um?
Cheema: Wir wissen beide, dass wir allein mit dieser Konstellation für viele eine Provokation darstellen. Insofern ist das etwas, was wir erwartet haben. Wir versuchen uns, auf die positiven Stimmen zu konzentrieren und jene Menschen, die die Polarisierung auch satt sind. Davon gibt es mehr, als wir denken oder soziale Medien uns glauben lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen