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das wird„Der ökologische Fußabdruck ist eine Falle“

Grüner Kapitalismus und die Verhaltensänderung von Individuen könnten den Planeten nicht retten, argumentiert Ulrich Brand. Ein Systemwechsel sei notwendig

Interview Franziska Vetter

taz: Kapitalismuskritik gibt es schon lange. Was hat Sie gerade jetzt dazu veranlasst in die Debatte einzusteigen?

Ulrich Brand: Wir haben das Buch nicht ­geschrieben, weil wir den Kapitalismus kritisieren wollen, sondern weil eine kapitalismuskritische Perspektive wichtig ist, um die aktuellen Verhältnisse zu verstehen. Wenn wir über multiple Krisen sprechen, müssen wir einen Gesamtzusammenhang herstellen und der liegt in der kapitalistischen und imperialen Produktions- und Lebensweise.

taz: Welchen Stellenwert hat die Klimakrise in Ihrem Buch?

Brand:Der Ausgangspunkt liegt in der ökologischen Krise. Uns beschäftigt ihre Dynamik, aber die können wir nur verstehen, wenn wir ihre Ursachen und Zusammenhänge untersuchen. Sie hat zum Beispiel viel zu tun mit der autoritären Entwicklung unserer Gesellschaften. Dass sie nicht effektiv bearbeitet wird, kommt bei den Menschen als Angst, als Ausgrenzung, als Polarisierung an. Dass Trump „drill baby drill“ schreit hat mit fossilistischer Macht zu tun, aber auch mit einer Verteidigung unserer Lebensweise „at any cost“.

taz: Der grüne Kapitalismus kann den Planeten also nicht retten?

Brand:Genau. Erstmal ist grüner Kapitalismus wichtig, weil es im Zentrum um Dekarbonisierung geht. Aber wenn es nicht eingebettet wird in eine Rücknahme von Wachstum und eine Infragestellung der Machtverhältnisse dann kann er, ersichtlich an den selbst gesteckten Zielen der Klimaneutralität, nicht funktionieren. Außerdem docken grüne ­Modernisierungsstrategien an die imperiale ­Lebensweise an. Die Erfahrungen im Süden – obwohl wir von Partnerschaften sprechen – sind weiterhin die eines Ausbeutungsverhältnisses.

taz: Was können wir dann tun?

Brand:Die Frage ist, wie wir die Welt denken. Wenn wir immer nur an Dekarbonisierung denken, dann heißt es: „Wir können ja gar nichts machen. Die Chinesen sollen mal anfangen.“ Wenn wir aber sagen, Gesellschaften schreiben sich in die Lebensweisen ein, dann müssen wir überall anfangen. Die Werbung ist beispielsweise voller Freiheitsversprechen des Automobils. Menschen auf dem Land wird gesagt, ihr könnt euer Auto nur noch mit schlechtem Gewissen nutzen und gleichzeitig gibt es bei Reichen den Trend zum Dritt-SUV. Diese Wünsche müssen wir umbauen. Und wir brauchen eine neue Weltwirtschaftsordnung. Eine Weltwirtschaftsordnung 2.0, im Anschluss an die Weltwirtschaftsordnung 1.0 aus den 1970er-Jahren mit der Dynamik der ­Dekolonisierung.

Foto: privat

Ulrich Brand Jg.1967, ist Professor für Internationale Politik an der Uni Wien. Gemeinsam mit Markus Wissen schrieb er das Buch „Kapitalismus am Limit - öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven“.

taz: ­Hängt der Wandel letzten Endes am ­Individuum?

Brand: Ne! Definitiv nicht. Wir denken, dass Gesellschaft und gesellschaftliche Interessen kollektiv organisiert sind. Die Nachhaltigkeitsdebatte, inklusive der Metapher des ökologischen Fußabdrucks, die ja von der fossilen Wirtschaft erfunden wurde, ist eine Falle. Das ist eine Ansprache, die seit 30 Jahren auf die falsche Fährte lockt. Es ist wichtig, einen verantwortungsvollen Konsum zu haben. Aber die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Das Individuum muss bei einer anderen Lebensweise, einer solidarischen, mitmachen –auch als Beschäftigter oder Beschäftigte.

taz: Heißt ihre Utopie „solidarisches ­Zusammenleben“?

Brand: Ich würde „normativer Horizont“ sagen. Utopie heißt ja ein nicht bekannter Ort. Es gibt ja ganz viel Wissen, wie eine Alternative aussehen kann. Ein normativer Horizont ist zum Beispiel eine fleischbefreite Gesellschaft. Das heißt, es gibt Sonntagsbraten, der unter hohen Standards produziert wurde. Wie der Weg dorthin aussieht, das bedarf viel Kreativität. Das ist ein riesiger Graubereich.

Vortrag und Diskussion „Kapitalismus am Limit“ mit Ulrich Brand: Mi., 18. 6., 19 Uhr, Flensburg, Dänische Bibliothek, Norderstraße 59

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