das wird: „Irgendwann merkt man, ob das Baby geboren und in die Welt geschickt werden will“
Bernadette La Hengst hat 100 ihrer Lieder für ein Buch ausgewählt. Das soll auch die Geschichte ihrer Generation erzählen
Interview Imke Staats
taz: Bernadette La Hengst, Lieder ohne die Musik sind manchmal schwierig zu lesen…
Bernadette La Hengst: Ich finde, die meisten Texte lesen sich sehr gut.
taz: Wie haben Sie denn dann aus Ihren 300 Songs jetzt 100 ausgewählt?
La Hengst: Ich wollte chronologisch meine Entwicklung als Songschreiberin zeigen, von der jugendlich verträumt Suchenden über die selbstironische und feministische „Die Braut haut ins Auge“-Sängerin bis hin zu meinen politisch expliziteren Soloalben. Das Buch erzählt also auch in den Anekdoten neben den Songtexten meine persönliche Geschichte der letzten 38 Jahre als Songschreiberin und die Geschichte meiner Generation ab den 1980er-Jahren, von der Provinz bis in die Metropolen, über Visionen, Träume, Utopien, zwischen privat und politisch.
taz: Haben die alten Lieder denn noch so viel Relevanz?
La Hengst:Mit den meisten „Braut“-Songs und meinem jungen Ich kann ich immer noch viel anfangen. Ich versuche, mir und meinen großen Themen –Liebe und Revolution in den Verwirrungen der Welt, Beziehungen, Freundschaft, Selbstermächtigung, Abschiedsschmerz und Neuanfang –treu zu bleiben, statt Trends hinterherzurennen. Die eigene Vergänglichkeit war das Thema in dem Song „Blätter und Menschen“, als ich mit Ende 20 bemerkte, dass mein Körper von mir einfordert, mehr auf mich achtzugeben. Selfcare sagt man heute dazu.
taz: Wird Texte zu schreiben mit der Zeit einfacher oder schwieriger?
Konzert-Lesungen Bernadette La Hengst, am 3. 5., 19 Uhr, Raum! in der Essigfabrik, Lübeck, sowie 4. 5., 17 Uhr, Hafenklang, Goldener Salon, Hamburg
Das Buch „Warum ich so laut singen kann – Ausgewählte Songtexte“, Ventil Verlag, 288 S., 20 Euro
La Hengst: Beides. Ich kann darauf vertrauen, dass ein Text irgendwann eine gewisse Qualität bekommt, aber fühle mich oft wieder wie eine Anfängerin. Dann lasse ich den Text ein paar Tage liegen. Irgendwann merkt man, ob das Baby geboren und in die Welt geschickt werden will. Ein gutes Lied oder ein guter Text ist für mich dann gelungen, wenn es mich überrascht.
taz: Wie und wann schreiben Sie Ihre Texte?
La Hengst: Für Theatermusik oder die partizipative Arbeit mit den Chören versuche ich, täglich strukturiert daran zu arbeiten. Frühmorgens bin ich nicht so kreativ, eher am Nachmittag oder am Abend. In mein Notizbuch schreibe ich Songtextideen oder Themen. Seit ich mehr für Projekte schreibe, muss ich für Muße sorgen, um mir Songs auszudenken, die nicht zweckgebunden sind.
taz: Was kommt zuerst, eine musikalische Idee, oder ein inhaltlicher Funken?
La Hengst: Ich glaube, dass ein guter Songtext sich von selbst in Musik einfügt, weil er in sich schon einen bestimmten Rhythmus hat und Melodiebögen, die ich in den Worten immer mitdenke. Manchmal nehme ich auch Musik ohne Text auf, es entspannt mich, einfach so mit Akkorden, Sounds, Beats und Melodien rumzuspinnen. Manchmal kommt erst Monate später eine passende Textidee. Das ist dann eine schöne Überraschung.
taz: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Wirkung von gemeinsamem Singen gemacht?
La Hengst: Die Sänger*innen meines „Chors der Statistik“ in Berlin bestätigen mir immer wieder, dass sie durch mich ihre Angst verloren haben, in der Öffentlichkeit laut zu singen. Bei der Mahnwache gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumung vor dem Roten Rathaus oder am Internationalen Frauentag, da haben wir mit 100 Frauen zusammen feministische Hymnen geschmettert.
taz: Wie ist das Musikmachen mit der eigenen Tochter?
La Hengst: Meine Tochter Ella Mae schreibt sehr eigene und gute Gedichte und Kurzgeschichten. Sie ist auch eine fantastische und leidenschaftliche Sängerin und spielt Klavier, will aber keinen Beruf daraus machen.
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