das wird: „Der Krieg war die Realität meiner Kindheit“
Künstlerin Joudi Haj Sattouf über den Sturz des Assad-Regimes
Interview Sabrina Bhatti
taz: Wie haben Sie den den Sturz des Assad-Regimes erlebt, Joud Hai Sattoufi?
Joudi Haj Sattouf: Meine Familie und ich waren nächtelang wach und haben die ganze Zeit nur Nachrichten geguckt. Wir wollten nichts verpassen. Als Assad gestürzt wurde, waren wir alle geschockt. Wenn so ein Regime nach 60 Jahren gestürzt wird, ist das krass. Es war eine Mischung aus Trauer und Glück.
taz: Warum?
Haj Sattouf: Trauer, weil ich mir gedacht habe: Wer bringt uns die Menschen zurück, die wir verloren haben? Das Leben? Unsere Kindheit? Unsere Jugend? All diese Jahre, die wir verloren haben? Und gleichzeitig war ich froh, dass es jetzt, Gott sei Dank, keine Schlachthäuser für Menschen mehr gibt. Ich hoffe zumindest, dass es niemals wieder dazu kommt. Wir Syrer haben jetzt, nachdem Assad gestürzt wurde, ein neues Sprichwort: „Egal wie schlimm, es wird nie so schlimm wie unter Assad“.
taz: Was verbinden Sie mit Syrien?
Haj Sattouf: Alles. Ich verbinde Liebe, Geschichte, Wissenschaft mit Syrien. Alles verbinde ich mit Syrien.
taz: Wie ist es für Sie, sich als so junge Person mit Bildern aus Folterknästen und den Erfahrungen der Opfer auseinanderzusetzen?
Haj Sattouf: Tatsächlich ist das normal für mich. Ich gebe zu, das ist traurig. Aber als jemand, der selber im Krieg aufgewachsen ist, habe ich sehr viel mitbekommen. Ich war vier Jahre alt, als die Revolution in Syrien begonnen hat. Der Krieg war die Realität meiner Kindheit. Als ich nach Deutschland gekommen bin, waren meine Kriegserfahrungen aber eher das Neue, das Komische für die Leute hier. Deshalb brauchte ich erst mal Zeit, richtig einzuordnen, was ich in Syrien überhaupt gesehen und erlebt hatte.
Ausstellung„Syrien: Stimmen aus der Dunkelheit“: vom 26. 1. bis 16. 2., in den Räumen des „Stadtlabor“, Wilhelmsplatz 3, Göttingen
taz: Was hat Sie dazu gebracht, diese Erfahrungen in Kunst umzuwandeln?
Haj Sattouf: Meine Psychologin. Ich war in Syrien eine Zeit lang stumm. Weil ich meine Gefühle nicht mit Worten ausdrücken konnte, hat meine Psychologin mir einen Stift und Zettel gegeben. Irgendwann hab ich die Kunst für mich entdeckt. Am Anfang war meine Kunst eher zur Heilung gedacht, um mich psychisch weiterzubringen. Dann, irgendwann, wurde sie zum Hobby und mittlerweile mache ich Kunst, um meine Message rüberzubringen.
taz: Woher nehmen Sie die Geschichten und Erfahrungen, die Sie in Ihrer Kunst visualisieren?
Haj Sattouf: Unterschiedlich. Manchmal habe ich das selbst erlebt. Ich arbeite aber auch seit fast zwei Jahren mit einem syrischen Journalisten namens Ammar al-Hilal zusammen. Für Social Media habe ich Videos von ehemaligen Gefangenen auf Deutsch, Englisch und Spanisch übersetzt und habe dadurch viele Menschen, die sich für diese Revolution geopfert haben, kennengelernt. Ich wollte ihre Stimmen und Gesichter weitergeben.
taz: Was wünschen Sie sich für die Zukunft Syriens?
Haj Sattouf: Demokratie. Und dass alles, was Syrien und das syrische Volk durchgemacht hat, nicht umsonst war. Ich wünsche mir, dass die Seelen der Mütter, die ihre Männer und Kinder in den Gefängnissen des Assad-Regimes verloren haben, endlich heilen, dass alle Frieden finden.
Joudi Haj Sattouf
18, ist 2017 aus Syrien nach Deutschland gekommen. Als Künstlerin und Aktivistin macht sie auf die Opfer des Assad-Regimes aufmerksam.
taz: Überwiegt eher die Hoffnung oder die Sorgen?
Haj Sattouf: Das kann ich so genau noch nicht sagen. Ich habe aber sehr viel Hoffnung, dass es nicht schlimmer wird als unter Assad. Das ist das, was uns Geduld gibt. Das Volk hat aus dieser Geschichte gelernt. Syrien hat anderen arabischen diktatorischen Staaten Hoffnung auf eine freie Zukunft gegeben.
taz: Können Sie sich vorstellen zurückzukehren?
Haj Sattouf: Natürlich. Das ist das, wofür ich gekämpft habe. Es ist mein Ziel und mein Traum. Aber ich möchte hier in Deutschland erst mal fertig studieren. Ich glaube, wenn ich hier alles stehen und liegen ließe, würde es meinen Mitmenschen nichts bringen und ich könnte ihnen nicht richtig helfen. In der Zwischenzeit kann ich hier in Deutschland mehr Aufklärungsarbeit leisten und Erfahrungen sammeln.
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