piwik no script img

das wird„Ohne sie wäre Finnland nicht, wie es heute ist“

Erst nach 20 Jahren übersetzt: Hamburgs Nordische Literaturtage eröffnen mit einem Roman über weibliche Selbstbestimmung

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Kritzokat, was ist das für ein Buch, das Sie – mit der Autorin – heute in Hamburg vorstellen?

Elina Kritzokat: „Das rote Buch der Abschiede“ wurde schon um die Jahrtausendwende geschrieben und 2003 in Finnland veröffentlicht. Und kommt jetzt ein bisschen wie eine Flaschenpost zu uns, erscheint gerade auch in mehreren anderen Sprachen. Dabei behandelt es Themen, die wichtig und auch zeitlos sind: Elternhaus, Herkunft, das Finden des eigenen künstlerischen Wegs, Liebe und sexuelle Identität – und den Kommunismus. Die Eltern der Autorin waren kommunistisch, das war zu der Zeit eine Seltenheit, und da fühlt sie sich nirgendwo richtig zugehörig.

Wer ist diese Pirkko Saisio?

In Finnland eine extrem bekannte Frau. Eine Kultur-Persönlichkeit, ohne die das Land nicht wäre, wie es heute ist. Sie hat gesagt, sie führe vermutlich Finnlands bekannteste lesbische Beziehung, und hat im Grunde immer schon autofiktional geschrieben. Saisio ist Jahrgang 1949 und enorm produktiv, hat über 20 Prosa-Werke veröffentlicht, mehr als 30 Dramen geschrieben. Sie ist Schauspielerin, eine Super-Sängerin, man findet sie auf Youtube. Sie hat an der Theaterhochschule Helsinki studiert – die wichtigste Schmiede des Landes – und lange als Professorin gearbeitet, also etliche Jahrgänge geprägt. Sie schreibt Stücke, spielt selbst, führt Regie und sagt, dass sie das Leben am besten an der Schreibmaschine zu fassen kriegt – heute eben am Computer.

Foto: Antje Pehle

Elina Kritzokat51, Literaturwissenschaftlerin, übersetzt aus dem Finnischen ins Deutsche. 2019 erhielt sie den Finnischen Staatspreis für ausländische Übersetzer.

Wie sehr handelt das Buch von der Autorin selbst?

Die Hauptfigur heißt Pirkko, da gibt es sicher Überschneidungen. Erzählt wird aus zwei Perspektiven: Einmal, wie sie um die Jahrtausendwende herum auf ihr früheres Ich zurückschaut, als sie um die 20 war, Anfang der 1970er-Jahre. Und zum anderen eben diese späten 1960er-, frühen 1970er- Jahre: Da hat sie ihr Abi fertig, weiß nicht, was sie mit sich anfangen soll. Sie spürt irgendwie schon, dass sie anders ist, es gibt aber keine Vorbilder. Zu der Zeit ist lesbische Liebe in Finnland noch kriminalisiert, aber sie findet trotzdem ihre erste Freundin. Die führt sie ein in einen dunklen Keller in Helsinki, in dem Schwule und Lesben nachts das leben können, was sie sonst überall verstecken müssen.

Geht das gut?

Nordische Literaturtage: Mo, 20. 11., bis Mi, 22. 11., Hamburg, Literaturhaus sowie als Livestream. Infos und Programm: www.literaturhaus-hamburg.de/NLT

Eröffnung mit Grußworten sowie Lesungen von Pirkko Saisio, Elina Kritzokat, Luka Holmegaard und André Wilkening: Mo, 18.30 Uhr

Als das nach und nach rauskommt und sie sich, zögerlich, irgendwann auch outet, reagieren die Eltern sehr harsch und wollen sie zum Arzt schicken. Wie sie durch all diese Widerstände hindurchgeht, gerade auch an der Hochschule erst ein wichtiges neues Zuhause findet, aber auch dort torpediert wird wegen ihrer lesbischen Beziehung: Von diesen Dingen, vom Klima der damaligen Zeit, aber auch der Selbstbestimmung handelt das Buch. Und formal ist es auch ziemlich besonders.

20 Jahre zwischen Veröffentlichung und einer deutschen Übersetzung: Ist das typisch für finnische Bücher?

Mit nur sehr wenigen Ausnahmen kommen frische Titel entweder sofort, werden rasch übersetzt und veröffentlicht – oder gar nicht. Hier ist es also eine Ausnahme, und das liegt bestimmt an den nach wie vor gültigen Themen und daran, dass sich gerade viele dafür interessieren: fürs Persönliche, das politisch ist; das Private, das etwas über die Gesellschaft verrät, über soziologische und politische Umstände – und Dinge, die wir immer noch aushandeln: „Was ist lesbisches Leben?“, zum Beispiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen