das wird: Nie wieder polnisches Bier
Mariusz Hoffmann liest bei Opa Peters in Schwarzenbek aus seinem Debüt-Roman
Das ländliche Ambiente von Schwarzenbek passt. Denn Mariusz Hoffmanns Debütroman „Polnischer Abgang“ beginnt im schlesischen Dorf Salesche, das Jarek und seinen Eltern verlassen wollen, um ihr Glück im frisch wiedervereinten Deutschland zu suchen. Ohne ein Wort machen sie sich eines Tages im Jahr 1990 auf den Weg. Ihr Vorwand für die Einreise ist eine vermeintlichen Geburtstagseinladung von Oma Agnieszka, die schon vor Jahren nach Hannover geflohen ist. Als die drei es tatsächlich über die Grenze schaffen, können sie es kaum glauben: nie wieder polnisches Bier!
Doch müssen sie ihren Traum von einem besseren Leben erst einmal gegen die Etagenbetten eines Aussiedlerlagers eintauschen. Selbst als sie den Bescheid bekommen, dass sie bleiben dürfen, reicht es nur für eine Notwohnung im nordrhein-westfälischen Werne. Zwei Jahre leben sie zu dritt in einem einzigen Zimmer, teilen sich Bad und Küche mit fünf anderen Familien.
Autor Mariusz Hoffmann skizziert mit dieser Geschichte seine eigenen Lebensstationen. Als er vier Jahre alt war, ließen seine Eltern alles zurück, um in Deutschland einen Neuanfang zu wagen. Nur die Wohnung in Polen behielten sie vorerst, für den Fall, dass die Behörden sie nicht als „Rückkehrer“ anerkennen würden. Hoffmann erinnert sich an eine „belastende Zeit, die erst mal wie ein Abenteuer anfing, bis irgendwann klar wurde: Wir sind jetzt in einer anderen Welt, verstehen so gut wie nichts und es geht nicht zurück.“ Ihre kümmerlichen Deutschkenntnisse reichen allerdings aus, um zu verstehen, wie unerwünscht sie sind. Hoffmann erinnert sich daran, regelmäßig von anderen Kindern „durch die Straßen gehetzt“ worden zu sein. Im Buch wird der junge Jarek auf einem Spielplatz eingekesselt, getreten und als „Polacke“ beschimpft.
Doch wenigstens eine Verbündete steht ihm zur Seite: Monika ist ebenfalls mit ihrer Familie nach Deutschland ausgesiedelt. Im Gegensatz zu Jarek kommt sie aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt. Obwohl sie die deutsche Sprache beherrschen und als wohlhabende Leute gelten, werden sie ebenso wenig akzeptiert und büßen gnadenlos an sozialem Status ein.
Der Anstoß für Hoffmann, von den eigenen Kindheitserlebnissen zu erzählen, kam, als er 2017 beim 25. Open Mike in der Kategorie Prosa ausgezeichnet wurde. In seiner Kurzgeschichte „Dorfköter“ unternehmen zwei Jungs einen letzten schelmenhaften Streifzug durch ihre Heimat, bevor sich einer von ihnen am nächsten Tag nach Deutschland verabschieden würde. Damit daraus ein ganzer Roman entstehen konnte, musste der damalige Literaturstudent tief in der eigenen Familiengeschichte kramen. Er befragte Eltern und Großeltern, holte Erinnerungen und Traumata hoch. Schließlich war es für seine Familie „das prägende Ereignis ihres Lebens“, sagt Hoffmann. „Diese Generation hat mit dem Schweigen schon immer gelebt. Man trägt Sachen so lange mit sich rum, bis sie vermeintlich in Vergessenheit geraten.“
Lesung: Mariusz Hoffmann liest aus „Polnischer Abgang“: 19 Uhr, Opa Peters, Schwarzenbek
Auch in dem Roman spielt Verdrängung eine große Rolle: An der Grenze beteuert die Familie zwar, Oma Agnieszka besuchen zu wollen. Sobald sie in Deutschland sind, wehrt sich der Vater vehement dagegen. Er wirft seiner Mutter vor, ihn vor langer Zeit verraten zu haben. Letztlich macht Jarek sich von selbst auf nach Hannover, um seine Großmutter wiederzusehen – und das Schweigen zu brechen. Nina Christof
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