das wird: „Nur die Ermordeten können vergeben“
Mit einer Lesereihe macht die Sinti-Union Schleswig-Holstein gegen Rassismus mobil
Interview Esther Geißlinger
taz: Frau Laubinger, Sie setzen Literatur gegen antirassistische, antiziganistische Vorurteile. Wie genau sieht das aus?
Kelly Laubinger: Bei vielen Lesungen fühlen wir als Sinti und Roma uns nicht angesprochen, daher bieten wir selbst eine dreiteilige antirassistische Lesereihe an. Wir wollen Menschen zu erreichen, die sich informieren wollen, aber sich nicht trauen, uns anzusprechen. Sprich, wir laden zur Lesung ein und leisten nebenbei Aufklärungsarbeit. Dabei soll es nicht nur um Sinti und Roma gehen, sondern allgemein um strukturelle Diskriminierung, denn wir arbeiten solidarisch mit allen Gruppen, beispielsweise mit der jüdischen Community, mit der wir die Erfahrung des Holocaust teilen.
Sinti- und Roma-Literatur ist relativ unbekannt. Interessiert sich die Mehrheitsgesellschaft nicht dafür?
Vielleicht ist es teilweise fehlendes Interesse, aber vor allem sind wir im Alltag und im medialen Diskurs unterrepräsentiert. Jeder Mensch kennt rassistische Vorurteile über uns, aber die wenigsten kennen Sinti und Roma persönlich. Hinzu kommt, dass viele Menschen sich nicht mit dem Holocaust auseinandersetzen wollen – nach dem Motto „Das ist lange her“. Doch damit verkennen sie unsere Lebensrealität. Für mich als Enkelin von Überlebenden ist der Holocaust und seine Auswirkungen bis heute präsent, aber die Gesellschaft lässt uns keinen Raum für die Erinnerung. Man erwartet, dass wir vergeben, aber nur die Ermordeten können vergeben und die sind nicht mehr da.
Kelly Laubinger
34, lebt in Neumünster und ist Vorsitzende der Bundesvereinigung der Sinti und Roma sowie Geschäftsführerin der Sinti-Union Schleswig-Holstein. Sie ist die Enkelin von Überlebenden des Holocaust.
Das ist das Stichwort zum ersten Teil der Lesereihe: Am 25. Oktober um 19 Uhr liest Max Czollek aus „Versöhnungstheater“. Worum geht es da?
Max Czollek nennt die Erinnerungskultur in Deutschland ein Versöhnungstheater, weil die Geschichte eben nicht aufgearbeitet wurde. Wir freuen uns sehr, dass unser Verbündeter Max trotz seines vollen Terminkalenders es schafft, eine Lesung bei uns durchzuführen.
Am 19. November liest dann Tayo Awosusi-Onutor aus „Jek, dui, drin“, dem ersten deutschsprachigen Kinderbuch, in dem Kinder aus Sinti- und Roma-Familien die Hauptrollen spielen. An Kinder welchen Alters richtet sich das, und brauchen sie ein Vorwissen?
Antirassistische Lesesreihe
25. 10., Max Czollek, „Versöhnungstheater“, 19 Uhr; 19. 11., Tayo Awosusi-Onutor, „Jek, dui, drin – drei Freundinnen in Berlin“, 14 Uhr; sowie 24. 11., Leah Carola Czollek und Gudrun Perko, „Antiromaismus und Antisintiismus“, 19 Uhr, jeweils im Veranstaltungsraum der Sinti Union Schleswig-Holstein, Feldstr. 31, Neumünster.Zutritt nur nach Anmeldung unter Sintiunionsh@web.de
Das Buch wird ab sieben empfohlen, aber jüngere Geschwister dürfen gern mit. Man braucht kein Vorwissen, die Autorin wird es spielerisch vermitteln. Für uns ist das Buch sehr besonders, ich hätte das gern schon für meine Generation gehabt: Es wird in der Geschichte ganz selbstverständlich auf Romanes gezählt, das empowert unglaublich.
Beim dritten Termin am 24. November stellen Leah Carola Czollek und Gudrun Perko das Buch „Antiromaismus und Antisintiismus“ vor. Zu allen Lesungen muss man sich per Mail anmelden. Ist das nicht eine Hürde, sodass am Ende nur die Leute kommen, die sich eh mit dem Thema befassen?
Darüber haben wir nachgedacht. Aber am Ende ist der Platz entscheidend: Wir haben nur 70 Stühle und wollen niemanden wegschicken. Und natürlich wollen wir auch keine Rechtsextremist*innen vor Ort haben, also schauen wir, wen wir reinlassen. Wir haben schon eine Reihe Anmeldungen aus ganz Schleswig-Holstein. Aber es sind auch noch Plätze frei.
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