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das wird„Packende Facebookposts über Alltag in Charkiw“

Die Schauspielerin Katharina Schütz liest ukrainische Literatur verschiedener Generationen

Interview Petra Schellen

taz: Frau Schütz, wie haben Sie die Texte der ukrainischen AutorInnen ausgewählt, aus denen Sie heute lesen?

Katharina Schütz: Mehr durch Zufall, ich bin ja keine Literaturwissenschaftlerin. Bei Kriegsbeginn habe ich begonnen, ukrainische Literatur zu lesen, um besser zu verstehen – und natürlich auch immer mit dem Gedanken einer eventuellen Lesung. Sprachlich sehr gepackt hat mich zum Beispiel „Der Papierjunge“ der 1982 geborenen Sofija Andrucho­wytsch.

Ein historischer Roman, mit dem sie 2014 berühmt wurde.

Ja. Die Geschichte spielt um 1900 im galizischen Städtchen Stanislau – dem seit 1945 ukrainischen Iwano-Frankiwsk, Geburtsort der Autorin. Galizien unterstand damals der k.u.k. Monarchie. Der Roman erzählt eine Dreiecksbeziehung und erweckt eine vergessene Epoche zum Leben.

Hitzig debattiert wurde dann Andruchowytsch’Trilogie „Amadoka“ von 2020 über die Rolle der Ukraine während des Stalinismus und der NS-Zeit.

Foto: Joachim Jung

Katharina Schütz66, lebt als freiberufliche Sprecherin und Schauspielerin in Hamburg.

Ja, aber ich bin beim „Papierjungen“ hängen geblieben. Die aktuelle Situation hole ich über Werke von Serhij Zhadan herein, der 2022 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekam. Ich werde aus seinem neuen Buch „Der Himmel über Charkiw“ lesen – einer Sammlung von Facebookposts, in denen er seinen Alltag als Helfer im Krieg beschreibt – und aus seinem Roman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ von 2010. Er spielt im ukrainisch-russischen Grenzgebiet und erzählt von Gesetzlosigkeit und Korruption.

Wohingegen die seit 2011 in Wien lebende Tanja Maljartschuk seit Kriegsbeginn gar nicht mehr schreibt …

Ja, in einem Interview hat sie gesagt, seit dem 24.2.2022 könne sie allenfalls noch Tagebücher und Essays verfassen. Ich werde aus dem Essay „Wie man über die Unmöglichkeit des Schreibens schreiben kann“ und aus der „Biografie eines zufälligen Wunders“ über den Kampf eines ukrainischen Mädchens gegen Willkür und Gewalt ihrer Umwelt lesen. Es ist ein sehr sarkastisches Buch, noch vor dem Krieg entstanden und diese ganze Korruption auf die Spitze treibend. Dieses Thema bewegt auch die non-binäre, seit 1995 in Deutschland lebende Person Sasha Marianna Salzmann. Die Vorfahren kamen aus der U­kraine, und erst als Erwachsene interessierte sich Salzmann für die Geschichte.

Woraus werden Sie lesen?

Lesung ukrainischer AutorInnen mit Klavierwerken von Borys Lyatoshynsky (1895–1968), gespielt von Sofia Oganesian: heute, 19.30 Uhr, Kaffeehaus Pape 2, Hamburg

Aus dem 2021 nach etlichen Theaterstücken erschienenen Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“. Darin verhandelt Salzmann die historischen Umbrüche in der Ukraine – auch das generationenlange Schweigen über Stalins Holodomor von 1932/33, den Hungerkrieg, der vier Millionen UkrainerInnen das Leben kostete. Ich werde eine sehr aktuelle Passage lesen. Sie handelt von einer Ärztin, die ihren Beruf aufgibt, weil sie davon nicht mehr leben kann und sich in der dysfunktionalen ukrainischen Gesellschaft nicht zu Hause fühlt.

Auch die 92-jährige Lyrikerin Lina Kostenko, mit der Ihre Lesung beginnen und enden wird, feiert keine heile Welt?

Nein. Sie hat schon in den 1960er Jahren gegen die Unterdrückung ukrainischer AutorInnen in der Sowjetunion protestiert. 16 Jahre lang durfte sie nicht publizieren; ihre Bücher kamen erst Ende der 1970er Jahre wieder heraus. Thema ihres Spätwerks ist das Schweigen der ukrainischen Gesellschaft über die Atomkatastrophe von Tschernobyl.

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