das portrait: Verliert Hamburg mit Carsten Brosdaden letzten Sozialdemokraten?
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Es muss Menschen geben, die kennen Carsten Brosda nur mit Cowboyhut und in texanischen Stiefeln, mitgebracht damals aus dem Schüleraustausch. Gut – die hat Hamburgs SPD-Kultursenator nicht jedes Mal angehabt, wenn er sich mit dem Leiter des örtlichen Literaturhauses auf der Bühne einfand, um sich darüber zu kabbeln, dass und wie sehr die Lieblingsmusik des jeweils anderen das Allerschlimmste sei. Ein bekennender Schlagerfan ist Moritz, Brosda vertritt Team Country (und Benachbartes).
„Brosda & Moritz“, gelegentlich auch anzutreffen mit „vs.“ dazwischen. Einmal im Jahr, und das inzwischen acht Jahre lang, lieferten die beiden Herren da ein abendliches Unterhaltungsformat zwischen Kulturkritik und Klamauk ab, das ihnen eine stabile Fangemeinde eingebracht hat: Für die achte Runde zog man im frühen Februar gerade vom Historischen Festsaal des Literaturhauses um ins St.-Pauli-Theater am Spielbudenplatz – deutlich größer, wieder ausverkauft. Das Thema des Abends, „Abschied und Neuanfang“, hätten seine Töchter gesetzt, so Brosda.
Ein Senator mit Interesse an Popkultur also, bei dem es nicht unverzüglich wirkt, als müsse er so was halt performen, schließlich ist Hamburg mal eine Stadt auch der Musikbranchen gewesen. Wer sich niemals zu so einer Boomer-Runde ins Literaturhaus begäbe, nimmt ihn vielleicht wahr bei der Eröffnung des alljährlichen Reeperbahn-Musikclub-Festivals. Lange auf Twitter, inzwischen bei Bluesky kommentiert Brosda unter dem Hashtag #TruthInSong mittels Liedtextschnipseln das Tagesgeschehen. Im laufenden Wahlkampf gab es gleich mehrere Termine, die wie auf Brosda zugeschnitten waren: ein „DJ Battle“ im ruhmreichen Mojo Club, „Songs und Politik“ mit Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard.
Malocher-Brosda
Brosda ist bekennender Plattenladen-Kunde. Mit den Machern von „Michelle“ in der Hamburger Innenstadt nahm er sogar selbst eine Platte auf, gab Konzerte: Zu flächig-dröhnender Instrumentalmusik rezitiert er da eigene Gedanken. Von denen scheint der gebürtige Gelsenkirchener, Jahrgang 1974, manchmal so viele zu haben, dass sie ihn sogar vom Schlafen abhalten: Vier Bücher, allerdings von sehr unterschiedlichem Umfang, hat Brosda seit 2019 geschrieben, auch mal nachts, wenn die Gattin schon schlief. Es sind analytische Befassungen mit der Pandemie und ihren Folgen, mit dem Parteiengefüge, mit der Freiheit der Kunst. Die hat er wiederholt zu verteidigen gesucht sogar noch gegen Einschränkungen, begründet mit der sogenannt guten Sache – dass er sich kritisch geäußert hat etwa zur Berliner Antisemitismusklausel oder der IHRA-Antisemitismusdefinition: Das werden manche – auch manche im Kulturbetrieb – Brosda wohl nicht mehr verzeihen.
Mediensenator ist der promovierte Journalist auch – noch so eine Branche, mit der sie sich an der Elbe gerne identifizieren, auch wenn die Bedeutung kontinuierlich kleiner geworden ist, nicht zuletzt zugunsten von – Berlin. „Wir werden ihn vermissen, sehr“: Das sagte Literaturhaus-Moritz im November 2021 dem (Berliner) Tagesspiegel. Damals schien es ausgemacht, dass SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz seinen früheren Redenschreiber Brosda in die Bundespolitik holen würde, als Kulturstaatsminister der Ampelkoalition.
Es kam bekanntlich anders, die Ampel ist inzwischen erloschen. Weil aber die SPD potenzielle Juniorpartnerin einer Koalition ist, taucht der Name Brosda seit ein paar Tagen wieder in diesem Zusammenhang auf. Noch vor der Bundestagswahl führte Die Zeit ein Interview mit ihm und seinem Berliner Amtskollegen Joe Chialo (CDU), ganz ausdrücklich unter Hinweis auf beider Kandidatenrolle. Das Bremer Musikportal „Backstage Classical“ kommentierte die angebliche Konkurrenz und gab „Malocher-Brosda“ den Vorzug gegenüber „Medien-Chialo“.
Diskrektion kann er
„Wir würden ihn vermissen“: Es darf davon ausgegangen werden, dass auch 2025 die Bestürzung in vielen Hamburger Intendant:innenbüros und an den Schreibtischen vieler Verantwortung Tragender groß wäre. Nicht, dass dem auch übers Lokale hinaus als gut vernetzt geltenden Brosda, seit 2020 Präsident des Deutschen Bühnenvereins, alles gelungen wäre. Die deutliche, nicht zu übersehende Kommentierung des Bismarck-Denkmals am Hafen hatte er sich als Projekt zu eigen gemacht – kommen wird sie nicht. Wenn das eine Niederlage war gegen andere im Senat, eventuell auch in der Bezirkspolitik, dann hat Brosda selbst das nie so durchscheinen lassen.
Aber vielleicht ist der Schalke-Fan auch einfach ein echter Mannschaftsspieler? Einen ganz normalen, musikfreien Termin absolvierte er dieser Tage in Rahlstedt, einem unglamourösen Einzelhaus-Viertel im Hamburger Osten. Auf Einladung mehrerer SPD-Bürgerschaftsabgeordneter war Brosda angekündigt mit einer Lesung aus seinem jüngsten Buch „Mehr Zuversicht wagen“. Später fragte ein silberschöpfiger Zuschauer nach den da noch ganz akuten Opern-Querelen – die Vertragsunterzeichnung zwischen Stadt und Spender Kühne war kurzfristig gecancelt worden, „keine Bewegung vor den Wahlen“, lautete die Sprachregelung.
Ob das seiner Zuversicht geschadet habe und was nun werde, wollte der Genosse wissen. Brosda hielt Linie – die Einigung wurde nur Stunden später bekannt. Diskretion kann er also. Ob das eine Qualifikation ist für bundespolitische Aufgaben – oder gerade keine? Ob sie ihn nun am Ende brauchen im Bund oder doch nicht: Einen Termin in Hamburg hat Brosda schon im Kalender stehen: Ende Juni setzt er sich mit Moritz auf die Freilichtbühne im Stadtpark, mit Hut und Stiefeln – für die ganz große Ausgabe von Country vs. Schlager. Alexander Diehl
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