das portrait: Wie Martina Voss-Tecklenburgdas WM-Aus ihres DFB-Teams nutzen will
Sie hatte schlecht geschlafen nach der Niederlage ihrer Mannschaft. Etwas zerknittert verließ Martina Voss-Tecklenburg das Hotel „Domaine de Cicé-Blossac“ in dem kleinen Örtchen Bruz, um die Heimreise anzutreten. Ihr Team hatte am Tag zuvor 1:2 gegen Schweden im Viertelfinale verloren. Aber was würde aus dieser Niederlage und den kaum zu übersehenden spielerischen Defiziten folgen? Würde nun eine Diskussion über sie, die Bundestrainerin, eröffnet? Müsste sie sich Sorgen machen? Nein, musste sie nicht, denn der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ließ in Person von Interimspräsident Rainer Koch schnell via BamS mitteilen, dass es in dieser Hinsicht keinen Gesprächsbedarf gebe: „Die Frage erübrigt sich, wo keine Probleme sind, muss ich mir auch keine machen“, sagte Koch. Dieser Sichtweise schloss sich DFB-Direktor Oliver Bierhoff an. Er habe tolle Ansätze gesehen, „die Erneuerung schreitet voran“, ließ er wissen.
Man will der Bundestrainerin also Zeit geben, Zeit für einen Neuaufbau, für die Integration junger Spielerinnen wie der 17-jährigen Lena Oberdorf. Eine Trainerdiskussion wäre auch deswegen etwas verfrüht gewesen, weil Voss-Tecklenburg ja erst seit ein paar Monaten im Amt ist. Der DFB hatte sich, wie Koch jetzt noch einmal darlegte, „extrem“ um sie bemüht und aus einem Vertrag mit dem Schweizer Fußballverband herausgelöst. Sie galt als Wunschkandidatin und ist es immer noch, trotz der verpassten Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio.
Sie rechne nun, sagt Voss-Tecklenburg, mit Rücktritten von verdienten Nationalspielerinnen. Wer das sei, will die gebürtige Duisburgerin nicht verraten. Die 51-Jährige muss so oder so einen Umbruch managen, an dessen Ende wieder ein formstarker Titelaspirant stehen soll, so wie ihn Voss-Tecklenburg auch aus ihrer aktiven Zeit kennt. In den 90er Jahren stand das DFB-Team an der Weltspitze, und Martina Voss, wie sie damals noch hieß, trug im offensiven Mittelfeld dazu bei, dass die DFB-Elf eigentlich nur Teams aus Norwegen oder China fürchten musste. 125 Mal streifte sie das Trikot der Nationalmannschaft über, und es wären wohl noch einige Spiele mehr gewesen, wenn Bundestrainerin Tina Theune-Meyer sie im Jahr 2000 nicht überraschend aus dem Nationalteam geworfen hätte. Theune-Meyer war wohl der Meinung, Voss’ nicht konfliktfreie Beziehung mit Nationalspielerin Inka Grings schade dem Binnenklima in der Mannschaft; sportliche Gründe nannte die damalige Bundestrainerin jedenfalls nicht.
Für Martina Voss-Tecklenburg war das ein Beleg, wie klemmig der Verband mit dem Thema Homosexualität umging. Das ist heute anders, und auch die Bundestrainerin ist geschmeidiger geworden. Hat sie als Verbandstrainerin der Region Niederrhein und auch als Coach des FCR Duisburg massiv Druck auf ihre Schützlinge ausgeübt, so ist sie heute eine Trainerin, die mehr auf Kameradschaft und Verständnis setzt: „Ich habe die Verbissenheit abgelegt.“ Markus Völker
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