das portrait: Die queere Künstlerin Charlotte Prodger erhält Turner-Preis für Smartphone-Filme
Für die meisten Menschen stellt das Smartphone eine Mischung aus Alltagsbegleiter und Nervensäge dar – viele verfluchen es, aber kaum jemand mag ohne es leben. Die britische Künstlerin Charlotte Prodgers hat das Ding nun in die Sphäre der Kunst überführt: Für zwei mittels iPhone-Kamera gedrehte Kurzfilme hat sie am Dienstagabend den renommierten und mit 25.000 britischen Pfund (rund 28.000 Euro) dotierten Turner-Preis erhalten. Ihre Werke zeugten vom „tiefgründigsten Gebrauch eines Geräts, so nüchtern wie die iPhone-Kamera, die die Kunst bisher gesehen hat“, sagte der Vorsitzende der Jury und Direktor des Londoner Tate-Museums, Alex Farquharson.
Prodger, die 1974 in der südenglischen Küstenstadt Bournemouth geboren wurde und heute in Glasgow lebt, bedankte sich bei der Preisverleihung für die schottische Hochschulförderung und die Unterstützung von verschiedenen Künstler*Innen. Sie studierte Kunst am Goldsmiths College in London sowie an der Glasgow School of Art. Den nach dem Maler William Turner (1775–1851) benannten Preis gewann sie für ihr 32 Minuten langes filmisches Doppelwerk „Bridgit/Stoneymollan Trail“.
In „Bridgit“ geht es um ihr eigenes Queer-Outing im ländlichen Schottland. Man sieht ihr Zuhause, ihre Katze, schottische Landschaften. Die 44-Jährige thematisiert ihren Alltag, die Aufnahmen stammen aus dem Zeitraum zwischen 1999 und 2015. Verschiedene enge Freund*Innen tragen Texte von Prodget vor. Über ihre Arbeit sagt sie, dass sie ihre heutigen Queer-Erfahrungen gegen die von anderen Künstler*innen stelle – etwa gegen die Performances der US-amerikanischen Medientheoretikerin und Science-Fiction-Autorin Sandy Stone. „Ich brauche solche Kontextualisierungen, um dadurch Sicherheit zu gewinnen, wer ich bin.“ Statt linearer Geschichtserzählung gehe es ihr um die Konversation zwischen verschiedenen zeitlichen Abschnitten.
Neben der Arbeit als Filmemacherin und Autorin ist Charlotte Prodger auch als Bildhauerin tätig. Das iPhone versteht sie nach eigener Aussage als eine Art körperlicher Prothese: „Es wird sehr materialistisch, fast bildhauerisch, mit diesem Objekt, meinem Telefon. Mitten beim Drehen kann es umgedreht werden, und deine Finger tauchen im Bild auf, du kannst das Blut in den Fingern sehen, wenn du die Linse damit verdeckst.“
Immer darauf bedacht, neue Akzente zu setzen, bestand die Finalist*innen-Auswahl der Turner-Jury dieses Jahr aus stark politischen Filmprojekten, in denen es auch um die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ging. Tate-Direktor Alex Farquharson betonte, dass Prodgers Kunst ohne geschlechtliche Fixierung arbeite und dennoch der Auseinandersetzung mit der traditionellen Kunstgeschichte verschrieben sei. Prodger selbst machte klar, dass die Selbstbestimmung ein zentrales Thema für sie sei, „ganz gleich ob über den Kampf der Queerbewegung oder für ein unabhängiges Schottland“. Letzteres wird sie im kommenden Jahr bei der 58. Venedig Biennale vertreten. Daniel Zylberstajn
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