das lieblingsstück (II): Lesen und Leben
Das Beste zum Ende des Kulturjahres im Norden: Das Hamburger Thalia Theater setzt den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch in Szene
Ingeborg Bachmann, Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht“. Der Briefwechsel. Hg. von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 1.039 Seiten, 40 Euro; E-Book 29,99 Euro
Ich war unentschlossen. Der edierte Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, im November als Buch erschienen, war sogleich vielerorts rezensiert worden. Die österreichische Kleine Zeitung sprach von einem „der heikelsten Einblicke in das Leben von Ingeborg Bachmann – jene Briefe, die sie dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch schrieb“. „Ingeborg Bachmann und Max Frisch konnten weder ohne noch miteinander“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit nannte die Veröffentlichung „eine Sensation“, der NDR erkannte einen „epochalen Briefwechsel“. Und nun eine szenische Lesung?
Das Thalia Theater ist voll besetzt. Christiane von Poelnitz und Jens Harzer, fast gleichaltrig, entsprechen auf der Bühne weder in Alterskonstellation noch Phänotyp den zu Repräsentierenden: Von Poelnitz ähnelt mit ihrer lang-fließenden Haarpracht nicht mal entfernt der Österreicherin mit ihrem Pagenschnitt; der feingliedrig-zarte Harzer mit den tiefen Blicken sieht entschieden anders aus als der gedrungene Schweizer mit seinen Brillengläsern, dick wie Glasbausteine.
Was für ein Kräftemessen mit Worten da zu erleben ist. Frisch liefert sich der sprachmächtigen Frau nicht aus. Die aber, fordert ihn heraus: als Mann wie als Schriftsteller. Wer setzt die Bedingungen dieser Liebe? Wer bestimmt über die gemeinsamen Wohnorte – wo es dann nicht auszuhalten ist, weil die Schwierigkeiten des Arbeitens in einer Wohnung und die Spannung zwischen Schriftstellerexistenz und Zweisamkeit größer sind als die Sehnsucht.
Die Intimität, die diese 300 Briefe preisgeben, wird sofort hörbar. Harzer und von Poelnitz breiten die ganze Waffenkammer einer Amour fou aus: Liebesschwüre und Trennungssehnsüchte, Kosenamen und Gemeinheiten. Gemeinsamer Alltag ist kaum lebbar angesichts der Ruhelosigkeit der beiden gefragten Autoren; die sind, im Zenit ihres Ruhms, häufig auf Reisen. Es sind also eigentlich die alten Liebes-Themen: Nähe und Distanz, Bewunderung und Rivalität, beständige Eifersucht. Im „Venedig-Vertrag“ gestehen beide sich Affären zu, und leben das weidlich aus; die selbst verordnete amouröse Toleranz gerät zur Qual. Bachmann betäubt sich mit Narkotika; bei Frisch führen Alkohol und Egozentrik dazu, dass er andere nicht schont.
Diese Liebe kann nicht gut gehen. Stark in ihrem Selbstsein, in ihrem Wunsch nach Geltung, Anerkennung und Erfolg, konnten Bachmann und Frisch miteinander ringen, aber nicht miteinander leben. Die Beziehung begann 1958 und währte bis zum Neujahrstag 1963: Bachmann trennte sich von Frisch und forderte ihn auf, all ihre schriftlichen Äußerungen zu verbrennen. Frisch aber bewahrte ihre Briefe ebenso wie die Durchschläge seiner.
Von Poelnitz trägt vor, wie unerbittlich genau Bachmann nach der Trennung Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“ redigiert, damit sich keine Spur ihrer Liebesgeschichte darin finde: „Wer die Geheimnisse des Bettes verrät, verdient die Liebe nicht.“ Frisch übernimmt alle ihre Änderungswünsche. Harzer liest die verbalen Liebkosungen Frischs vor, aber auch seine Gemeinheiten, die Verletzungen hervortreten lassen: „Du machtest mich zum Arschloch.“ Die zwei Schauspieler haben es gut gemacht, weil sie einfach gelesen haben. Einmal nur, als Harzer aus einem Brief Frischs an seine Mutter vorträgt, fällt er doch ins Spielen, ins Schwyzerdütsch – und lächelt.
Wer letztlich Schuld war am Unglück der Beziehung? Den Schmerz, den Ingeborg Bachmann und Max Frisch sich zugefügt haben, spürte das Publikum. Auch ich. Lesen und Leben wurden an diesem großen Abend eins. Frauke Hamann
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