das fernsehgericht:
Anklageschrift
Die Produzentin Gisela Marx (filmpool), die Produzenten Ulrich Brock und Otto Steiner (Kirch Media) sowie Gerhard Zeiler als Geschäftsführer von RTL Television werden angeklagt, aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses zur Täuschung im Fernsehprogramm, ein verfälschtes Format hergestellt und in Umlauf gebracht zu haben sowie tateinheitlich dazu, in Quotenerhöhungsabsicht, die Intelligenz der TV-Zuschauer dadurch beleidigt zu haben, dass sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregten.
Den Angeschuldigten wird folgendes zur Last gelegt: Am 2. September um 14 und um 15 Uhr strahlen sie die TV-Sendungen „Das Familiengericht“ und „Das Strafgericht“ auf RTL aus. Den Ankündigungen der Angeschuldigten zufolge handelt es sich bei der Sendung „Das Familiengericht“ um ein „völlig neues, spannendes und emotionsgeladenes Format im deutschen Fernsehen“. Auch bei der Serie „Das Strafgericht“ soll es sich laut Pressemitteilung um eine „neue Gerichtssendung“ handeln.
Tatsächlich stellen beide Formate eine Fortsetzung der „Daily Talkshows“ mit anderen Mitteln dar, wie bereits im Zusammenhang mit den Sendungen „Richterin Barbara Salesch“, „Richter Alexander Hold“ (beide Sat.1) oder „Das Jugendgericht“ (RTL) ausführlich in verschiedenen Print-Medien dargelegt wurde.
Hieraus ergibt sich auch, dass beide Formate nicht „neu“ sind. Außerdem gab es mit „Ehen vor Gericht“ bereits 1974 eine Familiengerichtssendung im ZDF. Seit den Sechzigerjahren strahlte das ZDF eine Gerichtsendung mit dem Titel „Wie würden Sie entscheiden“ aus. Aufgabe der Sender und Produktionsfirmen wäre es aber, statt bereits bekannte Formate zu kopieren, neue zu entwickeln.
Indem die Angeschuldigten ihre Shows in einem Gerichtssaal spielen lassen, gelernte Juristen als Richter, Staatsanwälte und Verteidiger einsetzen und auf die genaue Einhaltung vieler formaler Vorschriften achten, erwecken sie fälschlich den Eindruck von Authentizität. Es geschieht jedoch weder regelmäßig, dass Zeugen oder Zuschauer sich als Täter herausstellen, noch duldet es ein Gericht, wenn Zeugen in Auftreten sowie Kleidung ihre Missachtung des Gerichts zum Ausdruck bringen, wie das in den betreffenden Formaten geschieht.
Beweismittel: „Das Strafgericht“ vom 2. 9., 14 Uhr, „Das Familiengericht“ vom 2. 9., 15 Uhr
Es wird beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen und die Anklage vor dem Zuschauergericht zuzulassen. HEIKO DILK
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