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das ding, das kommtIn deutschen Kellern

Tausende Schädel in deutschen Instituten und Museen stammen von Opfern kolonialer Verbrechen. Die Performance „Schädel X“ erzählt davon Foto: Rainer Jensen/dpa

So lange Gerhard Ziegenfuß denken kann, hatte der Schädel einen Ehrenplatz auf dem elterlichen Kaminsims. Vor rund 100 Jahren kam er mit der Schiffspost, geschickt von Ziegenfuß’Großonkel Alois, ab 1900 katholischer Missionar im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Als Rechtsmediziner der Uni Münster in Ziegenfuß’Auftrag herausfanden, dass der Schädel tatsächlich einem Mann aus dem südlichen Afrika gehörte, wandte er sich 2008 an die namibische Botschaft in Berlin – damit der Schädel doch noch angemessen bestattet werden könne.

Ziegenfuß vermutet, dass der Schädel von einem Opfer des von deutschen Kolonialtruppen verübten Völkermords an den Hereros und Namas stammt. Wie Tausende andere Schädel, Gebeine und ganze Skelette, die in den Kellern deutscher Museen und wissenschaftlicher und medizinischer Institute lagern, die damit die angebliche Unterlegenheit der „afrikanischen Rasse“ beweisen wollten. Rund 1.000 solcher Stücke finden sich allein in der Berliner Charité, auf immerhin 75 beziffert das Medizinhistorische Museum in Hamburg seine „sensiblen Objekte“, wie solche Bestände seit den 1980ern gern genannt werden. Dass sie von Opfern des Völkermords stammen könnten, darauf weisen oft nur knappe Sätze wie dieser hin: „Unterkiefer fehlt, Hinterhaupt defekt“ – wenig wahrscheinlich, dass sowas erst beim Transport passierte.

An die Sammelwut der Deutschen, die Kolonisierten-Gebeine en masse nach Europa verschleppten, erinnert kommende Woche in Hamburg und Bremen die Kompagnie Flinn Works mit dem performativen Vortrag „Schädel X“. Darin mimt Schauspieler und Regisseur Konradin Kunze den erwähnten Ziegenfuß, projiziert Bilddokumente auf einen nachgebildeten Schädel und lässt akustischen Tumult nachempfinden: von rassistischen Unerträglichkeiten damaliger „Rasseforscher“ bis zu den zuletzt immer lauter gewordenen Forderungen – nach einer angemessenen Würdigung und Entschädigung der Opfer, aber nicht zuletzt der Rückführung all der Dinge, die da in deutschen Kellern lagern. (matt)

Di, 16. 1., 19.30 Uhr (im Anschluss Expertengespräch); Do, 18. 1, 18.30 Uhr, Hamburg, Museum für Völkerkunde. Fr, 19. 1., 19 Uhr (im Anschluss Expertengespräch); So, 21. 1., 18 Uhr, Bremen, Theater/Brauhauskeller

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