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cyberbullying"Das Problem verlagert sich"

Ein Gespräch mit dem Medienpädagogen Markus Gerstmann über Mobbing Jugendlicher im Internet, die Naivität von Nutzern in Online-Netzwerken und die Realität virtueller Welten

Ein Beispiel von traditionellem Offline-Mobbing Bild: DPA
Interview von Teresa Havlicek

taz: Herr Gerstmann, Studien zufolge hat jeder dritte Jugendliche Erfahrungen mit dem so genannten "Cyberbullying" …

Markus Gerstmann: Momentan gibt es ganz klar eine Welle, im Internet zu mobben.

Mobben Jugendliche heutzutage mehr als früher?

In vielen Fällen ist das Netz nur das Medium: Das Mobbing hätte ansonsten auf dem Schulhof stattgefunden. Oftmals wird dem nicht genug entgegengesteuert. An Schulen beispielsweise sollten die Folgen behandelt werden. Die Forderung, SozialarbeiterInnen an die Schulen zu bringen, um das soziale Miteinander - im normalen Leben wie im Internet - zum Thema zu machen, halte ich da für äußerst sinnvoll.

Ist die Hemmschwelle anders, auf dem Schulhof oder im Netz zu mobben?

Absolut. Über das Internet gibt es ganz andere Wege als im direkten Kontakt. Ich habe die Konfrontation mit dem Gegenüber nicht unmittelbar und kann anonym agieren. Oder ich zeige mich als Angreifer und gleichzeitig auch, wie viele Leute ich noch hinter mir habe. Entscheidend ist, dass Mobbing im Internet 24 Stunden an sieben Tagen die Woche präsent ist. Die Schule ist mittags zu Ende und die Kinder gehen nach Hause, wo sie mit Familie und Freunden einen Rückzugsraum haben. Internet und Handy sind aber mittlerweile auch im Kinder- und Jugendzimmer vertreten. Das Mobbing dringt in diesen Rückzugsraum ein, wo ich entspannt und nicht so sehr auf der Hut bin. Ein Angriff in diesem Raum kann richtig ins Mark treffen.

Durch das Internet wird auch vieles öffentlich, was eigentlich in diesen Rückzugsraum gehört …

Ich beobachte, dass viele Jugendliche in den letzten Jahren wahllos alles ins Netz gestellt haben. Oft mit der Naivität zu denken, sie zeigen es nur der internen Öffentlichkeit einer vermeintlich geschlossenen Seite wie dem "SchülerVZ". Das kann aber auch eine Eigendynamik entwickeln: Bilder und Geschichten verselbständigen sich.

Lässt sich das verhindern, gerade bei Bildern?

Jeder hat im Prinzip das Recht am eigenen Bild. Genau genommen müssten Eltern ihr Einverständnis geben, wenn ihr Kind Bilder hochlädt. Das Handling ist allerdings schwer: Bei "SchülerVZ" sind 200 Millionen Bilder eingestellt - der Aufwand wäre kaum zu bewältigen.

Wie ginge es anders?

Was für Erwachsene virtuell ist, ist für Kinder oft schon eine ganz reale Welt mit ganz realen Diskussionen. Die Generation unserer Großeltern etwa musste sich auch zuerst an das Telefon gewöhnen. Dass man plötzlich über weite Distanzen miteinander sprechen konnte, war ein ähnlicher Schnitt. Wie die Jugend heute kommuniziert, ist einfach eine Weiterentwicklung. Und wo man früher ein Fotoalbum hatte, wird heute alles im Internet veröffentlicht - da muss es noch einen Mittelweg geben. Wir brauchen als Gesellschaft einen Konsens dazu, wie man mit diesen Dingen umgeht.

Helfen auf dem Weg dahin Forderungen nach Verboten und Seitensperren weiter?

Technisch ist so etwas machbar. Beim Thema Kinderpornographie wird so ein Verbot akzeptiert. Grundsätzlich haben wir in unserer Gesellschaft aber immer wieder die Diskussion: Was wir nicht mögen, das wollen wir verbieten. Das sind die Computerspiele, die NPD - alles, was wir nicht gut finden. So lässt sich ein Problem aber nicht lösen: Es findet dann bloß keine richtige Auseinandersetzung mehr statt, das Problem verlagert sich und ist uns nicht mehr bewusst. Und es wird immer auch Wege geben, an Sperren und Verboten vorbeizukommen.

MARKUS GERSTMANN, 45, ist Medienpädadagoge beim "ServiceBureau Jugendinfo" in Bremen. Mehr Infos unter www.jugendinfo.de/pass-auf-dich-auf

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