crime scene: Späte Liebe und Boxen: Åsa Larsson verabschiedet ihre Romanheldin
Auf sechs Bände hatte Åsa Larsson ihre im hohen Norden Schwedens spielende Rebecka-Martinsson-Reihe angelegt – zumindest hatte sie das geplant, als der erste Roman erschienen war. Das ist mittlerweile 19 Jahre her. Der fünfte Roman erschien 2012. Danach schien es fast so, als habe die Autorin das Interesse an ihrer ersten Romanheldin verloren; stattdessen schrieb sie Jugendbücher, mit denen sie ebenfalls erfolgreich war.
Aber jetzt hat Larsson also doch ihre Ankündigung von einst eingelöst: Rebecka Martinsson ist zurück! Und das auch noch mit einem ausnehmend dickleibigen Schmöker. Es muss tatsächlich jede Menge Stoff Platz in diesem Roman finden, der ganz offensichtlich mehr ist und mehr sein will als ein Krimi oder Thriller. Der überraschenden Wendung am Schluss zum Trotz tritt die Kriminalhandlung – auch im Vergleich zu früheren Bänden der Reihe – ein gutes Stück zurück hinter die individuellen Lebensgeschichten der Romanfiguren.
Altwerden ist ein großes Thema, sozusagen die thematische Basis dieses Romans, der damit beginnt, dass eine Frau Selbstmord begehen will: Ragnhild Pekkari, eine ehemalige Krankenschwester, von ihrer Familie entfremdet und ganz allein auf der Welt, seit sie in Rente ist, hat alles so vorbereitet, dass es wie ein Unfall aussehen muss, wenn sie bei einer einsamen Skitour in einem eisigen Fluss ums Leben gekommen sein wird. Zu diesem Äußersten aber kommt es nie, da ein überraschender Anruf die Lebensmüde bewegt, ihr Vorhaben zu verschieben.
Åsa Larsson: „Wer ohne Sünde ist“. Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt. C. Bertelsmann Verlag, München 2022, 592 S., 22 Euro
Im Folgenden wird sie auf dem ehemaligen Anwesen ihrer Familie zwei Leichen entdecken, von denen eine seit Jahrzehnten in einer Kühltruhe lag. Außerdem wird sie sich verlieben, womit die Selbstmordgefahr zunächst abgewendet sein dürfte. Die Liebesgeschichte zwischen Ragnhild und dem ehemaligen Boxer Börje Ström zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman, in dem auch die teils schwierigen, teils innigen Beziehungsgeschichten des übrigen Personals nicht ausgespart werden. Verwoben mit diesem roten Faden ist die Lebensgeschichte des Börje Ström, die in Rückblenden beleuchtet wird – ausgehend von seiner Kindheit bis hin zu seiner internationalen Karriere. Für weniger am Boxsport Interessierte fallen diese Passagen vielleicht etwas zu ausführlich aus, aber definitiv hat Åsa Larsson sich gründlich eingearbeitet in die Fein- und Eigenheiten des Sparrings sowie die politischen und gesellschaftlichen Implikationen, mit denen eine internationale Boxkarriere Ende des 20. Jahrhunderts aufgeladen sein konnte.
Dieser breit ausgeführte Erzählstrang hat seine Verdienste, hat allerdings nichts zu tun mit der eigentlichen Kriminalhandlung. Die Verbrechen, die in diesem Roman geschehen und zu denen auch Morde an mehreren osteuropäischen Prostituierten zählen, werden im Vergleich zur Lebensgeschichte des alten Boxers eher kursorisch behandelt und fallen mehr durch Masse auf als durch erzählerische Verdichtung.
Auf der anderen Seite ist es aber ausgesprochen eindrucksvoll, wie es Larsson gelingt, sämtliche Erzählstränge so zu verweben, dass sie sich am Schluss als dichtes Geflecht von persönlichen und wirtschaftlichen Verstrickungen präsentieren. Da fällt jedes Steinchen an seinen Platz, es passt alles und wackelt nichts – außer in der teils etwas roh behauenen deutschen Übersetzung. Åsa Larsson kann ihr Krimi-Handwerk einfach verdammt gut. Aber man wird nach diesem Buch das Gefühl nicht los, dass sie eigentlich Lust hat, es ganz hinter sich zu lassen. Katharina Granzin
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen