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corona in hamburg„Die Coronakrise wird verpolizeilicht“

Foto: privat

Rafael Behr 62, ist Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei in Hamburg.

Interview Pascal Patrick Pfaff

taz: Herr Behr, die grundsätzliche Aufgabe der Polizei ist die Gefahrenabwehr. Wie kämpft es sich gegen Corona?

Rafael Behr: Das Coronavirus ist eine Gesundheitsgefahr, etwas Immaterielles. Für die Polizei ist das ein neues Metier, weil sie selbst als Subjekt und Objekt begriffen werden kann: als Gefahren abwehrende Organisation und auch als Ort, an dem Polizisten Betroffene einer möglichen Infektion sind.

In Coronazeiten soll die Polizei Allgemeinverfügungen durchsetzen. Entwickelt sich hier ein neues Normensystem?

Durchaus. Ich habe es mal „neues Disziplin-Regime“ genannt. Der Lockdown ist ja nicht gegenstandslos geworden; es gibt nur sukzessive Lockerungen. Die Öffentlichkeit muss neue Dinge lernen, wie man sich verhält. An welchen Orten trägt man welche Masken? Wie regelt man Einbahnstraßenverkehr im Einkaufs–center? Sich an dieses Disziplinar-Regime anzugleichen, macht der Gesellschaft schon arg zu schaffen.

Was bedeutet das für die Arbeit der Polizei?

Zu Beginn der Krise war das Publikum erschrocken und verängstigt. Die Leute sind dankbar gewesen, dass es mit der Polizei eine ordnende Institution gab. Das verändert sich nun mit dem Widerstand gegen die Allgemeinverfügungen. Die Polizei muss nun einfach die Regeln durchsetzen. Sie wird jetzt allerdings in inhaltliche Debatten involviert, bei denen es um Schutzmaßnahmen, Impfungen oder Bill Gates geht. Dazu können Polizisten natürlich keine Stellung nehmen. Die Coronakrise wird quasi verpolizeilicht.

Es heißt in einem Pressetext sinngemäß, dass die Coronaregelungen der Prävention wegen durchgesetzt werden – sie aber ein Teil der Bevölkerung als Repression empfindet. Dies kann zu Aggressionen führen. Wie geht die Polizei damit um?

Im Moment noch durch Aufklärung und Dialog. Das hat letzte Woche in der Schanze aber nur bedingt geklappt. Indes werden die Verhaltensweisen des Publikums härter; man verschließt sich dem aufklärerischen Aspekt. Mir fällt zurzeit auf, dass sich die Perspektive vom schutzwürdigen Publikum hin zum Störer verändert. Dieser kann durch Überzeugungsarbeit nicht erreicht werden, er folgt der polizeilichen Weisung nicht. Da wird die Polizei natürlich mit ihrem Repertoire an Einsatzmöglichkeiten nachlegen. Der klassische Ansatz ist ja: informieren, belehren und anschließend sanktionieren – mittels Personalfeststellungen, Bußgeldverfahren und so weiter.

„Von der Gefahrenabwehr zur Regeldurchsetzung – Polizei und Polizieren in Corona-Zeiten“: Zoom-Gespräch, 17–18.30 Uhr, Anmeldungen mit dem Betreff „Gefahrenabwehr“ an pz@boell-hamburg.de

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