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corona in bremen„Nichts als kleine schwarze Felder oder Bildchen“

Foto: Marco Iezzi

Norman Sieroka 46, hat in Physik und Philosophie promoviert und ist seit 2019 Professor für Theoretische Philosophie an der Uni Bremen. Er lebt in der Schweiz und pendelt – eigentlich.

Interview Mahé Crüsemann

taz: Herr Sieroka, was ist für Sie der größte Unterschied zwischen einer Online-Vorlesung und einer, die im Hörsaal stattfindet?

Norman Sieroka: Der größte Unterschied entsteht durch die eingeschränkten Reaktionen, die mich von den Studierenden erreichen. Im Hörsaal bekomme ich einen viel direkteren Eindruck davon, ob ich gerade zu schnell bin, ob es langatmig ist oder ob beispielsweise ein ironischer Kommentar auch als ironisch wahrgenommen wird. Solche Dinge erkennt man an vielen kleinen Details in den Gesichtsausdrücken, im Geräuschpegel, und so weiter. Vieles davon fehlt, wenn man einfach im eigenen Büro oder Arbeitszimmer vor einem Bildschirm sitzt und von den Studierenden nichts bleibt als kleine schwarze Felder oder Bildchen.

Wird die Lehre nach Corona anders werden? Hat Corona der Lehre vielleicht sogar im Positiven Änderungen gebracht?

Es hat sicherlich einen starken Schub gegeben für die Verwendung diverser Online-Werkzeuge wie eben Videokonferenzen, Videoaufzeichnungen oder Online-Whiteboards. Diese Werkzeuge standen zum Teil schon seit längerem zur Verfügung, aber nun werden sie – notgedrungen – auch verwendet. Zu den positiven Folgen dieser Entwicklungen gehört, dass man neue Wege der Zusammenarbeit erfahren und ausprobieren kann – und vielleicht ja auch entscheiden, ob man es „nach Corona“ weiterhin so praktizieren möchte. Eine weitere positive Folge ist sicherlich die größere Flexibilität im sogenannten „remote learning“: Das heißt, als Studierender bin ich nicht mehr in gleicher Weise an den Ort und die Zeit einer bestimmten Lehrveranstaltung gebunden. Dies wird auch in Zukunft ein wichtiger Faktor sein, zum Beispiel für diejenigen, die berufsbegleitend studieren oder neben dem Studium noch arbeiten müssen oder Kinder betreuen.

Was hat sich durch die Pandemie ansonsten für Ihre Arbeit an der Uni geändert?

Auch an der Uni wurde ein Großteil der Beschäftigten ins Homeoffice geschickt. Das hat auch zu erheblichen Veränderungen in administrativen Abläufen geführt und musste sich erst einmal einspielen. Durch Homeoffice stellte sich aber auch eine Art Illusion ein, nun nahezu grenzenlos verfügbar zu sein. Da man nun alles per Videokonferenz vom heimischen Schreibtisch aus erledigen kann, ist es auch kein Problem mehr, um 10 Uhr eine Vorlesung an der Uni Bremen zu halten und um 14 Uhr an einer Doktorprüfung an der Uni Gent teilzunehmen. Und wenn dann die Anfrage kommt, zwischendurch um 12 Uhr noch schnell einen Vortrag an der Uni Edinburgh zu halten, ist auch das prinzipiell noch möglich. Mit diesen Neuerungen muss man dann auch erst mal einen gesunden Umgang finden.

Wie wirkt sich Corona auf Sie privat aus, neben den allgemeinen Beschränkungen?

Dadurch, dass beispielsweise bestimmte Sport- und Freizeitaktivitäten nicht mehr möglich sind, hat sich auch bei mir und in meiner Familie einiges geändert. Es haben sich sozusagen neue Rituale herausgebildet. Zum Beispiel machen meine Frau und ich nun abends viel häufiger längere Spaziergänge. Gerade solche Verschiebungen finde ich übrigens auch als Philosoph spannend – vor allem, da mich das Thema Zeit sehr interessiert: Welche Bedeutung haben Veränderungen und Regelmäßigkeiten – Rituale – für unser Leben? Was verändert sich durch Corona an unserem Zeitempfinden?

Online-Lehre via Zoom, Jitsi und Co.:

seit Monaten, auch an der Uni Bremen

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