buchtipp: Zielloses Wandern
Zur Migration
Mit halbseidenen Bekenntnissen zu Deutschland als Einwandererland füttern die Parteien hierzulande die aufgeheizte politische Debatte um eine Einwanderungspolitik. „Es gibt faktisch kein echtes Einwanderungsland mehr“, meint die in Deutschland lebende Soziologin und Autorin Fahrideh Akashe-Böhme. „Viele Staaten haben ihre Ausgrenzungspolitik gegenüber Asylsuchenden, Kriegsflüchtlingen, Arbeitsmigranten und illegalen Einwanderern verschärft.“
Migration, die nur in den seltensten Fällen frei gewählt ist, findet ihrer Meinung nach unter verschärften Bedingungen statt: Der Migrant hat mit der Abwehr in seinem neuen Staat zu kämpfen und mit dem schmerzhaften Bruch in der eigenen Biografie, denn, so Akashe-Böhme, „Trennung von der Heimat bedeutet auch immer einen Persönlichkeitsverlust“. Migration als positive Lebensform sei heute das Privileg von internationalen Managern, Künstlern, Wissenschaftlern und Ingenieuren.
In ihrem Buch „In geteilten Welten. Fremdheitserfahrung zwischen Partizipation und Migration“ untersucht die Autorin auch die subjektive Seite der Migration vor dem Hintergrund von Globalisierung und zunehmender Mobilität. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei den Migrantinnen. Mit viel Gespür, was sicherlich aus ihrer eigenen Biografie resultiert – sie ist gebürtige Iranerin –, beschreibt sie westliches Dominanzgebaren auch in der feministischen Diskussion.
Dabei, so die These der Autorin, ist kulturelle Homogenität längst ein Anachronismus. Eine moderne Gesellschaft sei nicht mehr durch ethnische und kulturelle Homogenität, sondern „vielmehr durch Arbeitsteilung, Markt und technische Vernetzung gegeben“. Moderne Gesellschaften werden deshalb auf die Dauer mit kultureller Vielfalt zu rechnen haben.
Die bundesdeutsche Gesellschaft sei noch in keinster Weise „auf den gegenwärtigen Modernisierungsschub im Zeichen der Globalisierung eingestellt“. Migrationspolitik wurde bislang auch unter Rot-Grün als Reperatur bei gleichzeitigem Festhalten an der alten Ausländerpolitik betrieben. Es gehe aber längst nicht mehr um das Bekenntnis zu mehr Toleranz, sondern um konkrete Chancengleichheit und Partizipation. Sie macht Vorschläge, wie den Herausforderungen der gerade immer wieder beschworenen multikulturellen Demokratie zu begegnen ist. Fahrid Akashe-Böhmes Buch ist ein sensibler und faktenreicher Beitrag zu einer aktuellen Debatte. EDITH KRESTA
Fahrideh Akashe-Böhme: „In geteilten Welten. Fremdheitserfahrungen zwischen Migration und Partizipation“. Frankfurt 2000, Brandes & Apsel, 176 Seiten, 24 DM
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