buchmessern: Doch entbestialisiert
■ Der Dichter trifft auf seinen Leser: ein Idyll. Peter Rühmkorf besiegt den Teufel
Der, der nie Böses über die Messe denkt, kann ja mit Büchern werfen. Aber als Normalsterblicher ist man doch manchmal sehr am Fluchen: zu voll, zu anstrengend, zu verquatscht. So drängelt man sich durch die Gänge zwischen den Verlagsständen – um sich vom kleinsten Anlass doch wieder einfangen zu lassen und dieser verrückten Messe, dem neurotischen Literaturbetrieb überhaupt sein Herz anzutragen.
Peter Rühmkorf, Dichter aus Hamburg-Övelgönne, war es, der – ohne es zu bemerken – zwei Menschen glücklich gemacht hat: mich und einen unbekannten Leser. Hager wie ein Fragezeichen arbeitete er sich gegen Mittag durch das Gewühl. Er suchte irgendetwas oder irgendwen. Und gerade, als er zufällig neben mir stand, sagte er ein Wort: „Teufel!“ Warum tut er so etwas? Warum sagt er ausgerechnet „Teufel“? Warum ausgerechnet neben mir? Solche Fragen standen sofort im Raum. Aber Rühmkorf ging unbeirrt weiter. Er wandte sich an einen der vielen Passanten und fragte ihn etwas. Der Passant wiederum erwies sich aber als Rühmkorf-Leser, wenn nicht gar als Rühmkorf-Fan. Freudiges Händeschütteln natürlich. Und Rühmkorfs Gesicht klarte geschmeichelt auf. So hat also die Leidenschaft der Literatur wieder mal den Gedanken an den Teufel besiegt. Der Dichter trifft auf seinen Leser: ein inniges Bild. Ein Idyll.
Wir schildern diese Szene deshalb etwas ausführlicher, weil sie ein weiteres Indiz für die These ist, dass wir doch noch keine Barbaren geworden sind. Denn die Barbarei, ein Wort, das eigentlich längst vergessen schien, scheint auf unserer Messe eine gar nicht unbedeutende Renaissance zu erleben. Alle reden über Lafontaine. Alle reden über Grass oder über diese dämlichen Spiegel-Fotos, auf denen junge Schriftsteller, die teilweise immerhin auch schon auf die Vierzig zugehen, sich Blechtrommeln umgehängt haben. Und während sie so reden, hat sich in manchen Hinterköpfen das Wort Barbarei festgesetzt.
Sloterdijk ist hier wohl nicht so ganz unschuldig. Hatte er nicht kürzlich gemeint, dass die „Entbestialisierung“ des Menschen durch die Bücher vorbei sei? Auf verschlungenen Pfaden ist diese These auch auf der Messe angekommen. In der Literaturbeilage der FAZ steht so ganz nebenbei zu lesen, dass der Freiheitsdrang der 68er jede handfeste Moral geschleift und dadurch Brutalität beflügelt habe. Wörtlich: „Was den Zeitgenossen noch immer als Humanisierung erscheint, ist in Wirklichkeit eine Verrohung, eine immer größer werdende Barbarei.“
Ob sich Rühmkorf auch von Barbaren umlagert wähnte, als er das Wort „Teufel“ sagte? Oder suchte er nur die Toilette? Unsereiner jedenfalls muss bekennen, dass er von barbarischen Szenen auf der Messe doch sehr wenig mitbekommen hat, auch wenn er gerne welche erlebt hätte. Eigentlich können wir nur von so friedlichen Szenen berichten wie von der Begegnung Rühmkorfs mit seinem Leser. Die Entbestialisierung der Menschen durch die Bücher, zumindest in Frankfurt, sie scheint in diesen Tagen doch zu funktionieren.
Das einzig Barbarische waren die Bierpreise in dem schick demolierten Club, in denen die Taschenbuchabteilungen des Suhrkamp-Verlages zur Party baten: sieben Mark für ein Glas Gezapftes. Aber auch hier nur friedliche, ja teilweise geradezu zärtliche Szenen zwischen den Buchmesse-Gästen. Falls also irgendjemand etwas Barbarisches erlebt hat: Bitte melden!
Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen