britischer aufruhr: Deutschland tickt noch anders
Großbritannien erlebt in diesen Wochen wieder einmal schwere Rassenkrawalle. Nachdem sich asiatische Jugendliche bereits im Mai in Oldham tagelang Straßenschlachten mit der Polizei geliefert hatten, kam es am Wochenende in Bradford zu schweren Ausschreitungen zwischen asiatischstämmigen und weißen Jugendlichen.
Kommentarvon EBERHARD SEIDEL
Bereits seit zwanzig Jahren kommt es in britischen Städten in regelmäßigen Abständen zu Aufständen ethnischer Minderheiten, meist im Anschluss an Polizeiübergriffe oder Demonstrationen von Rechtsradikalen durch die Wohnquartiere der Einwanderer.
Vergleichbare Bilder aus Deutschland sind unbekannt, obgleich es auch hier Klagen über rassistisches Polizeiverhalten gibt und Jugendliche aus Einwandererfamilien überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit und sozialer Verelendung bedroht sind. Woran also liegt die Friedfertigkeit in Deutschlands Städten, wo doch vieles auf dem ersten Blick der Situation in Großbritannien ähnelt?
Erstens: Anders als in Großbritannien sind in Deutschland die antagonistischen Jugendszenen von Migranten und militanten Rechten räumlich weit getrennt. Die einen leben im Westen, die anderen im Osten. Und anders als in Großbritannien ist es Neonazis in Deutschand bis heute nicht gelungen, offene und provozierende Umzüge durch Einwandererviertel zu veranstalten. Wo sie es dennoch versuchten, hat bislang stets ein breites Bündnis aus Migrantengruppen, Gewerkschaften, Antifaschisten und engagierten Bürgern die Kräfteverhältnisse klargestellt und noch jeden Durchmarsch der Neonazis verhindert.
Zweitens: Der rheinische Kapitalismus mit seinem sozialdemokratischen Versprechen, gravierende soziale Ungleichheiten abzumildern, hat hierzulande bislang eine vergleichbare ökonomische Marginalisierung wie in Frankreich oder Großbritannien verhindert.
Und drittens: Der seit Jahren kontrovers geführte Diskurs um die Identität Deutschlands als Einwanderungsland nährt bei vielen Einwanderern derzeit noch die Hoffnung, nicht nur die ökonomische, sondern auch ihre bürgerrechtliche Lage könnte sich in Zukunft möglicherweise verbessern. Dieses Prinzip Hoffnung gibt es in Großbritannien nicht mehr. Dort sind die Jugendlichen asiatischer oder karibischer Herkunft längst britische Staatsbürger. Geblieben aber sind die Erfahrungen ökonomischer und rassistischer Ausgrenzung.
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