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blade runnerSchulen in Not

Kinder sollen Zwiebeln reiben

Die Bayer AG setzt auf starke Wirkungen. Stellen Sie sich beispielsweise ein Produkt vor, dass eine Gruppe lethargischer, unwilliger Schüler plötzlich zwanghafte Neugierde und unbändigen Wissensdrang entwickeln lässt. Vielleicht sogar binnen Minuten. Wäre das nicht ein perfektes Antidepressivum für Lehrer, ein markteroberndes Glückshormon für Eltern und mit der richtigen Marketingstrategie vielleicht bald schon die Lifestyle-Droge für Schüler? Irgendwer in den Forschungslabors des Pharma-Konzerns muss sich diese Frage gestellt haben. Denn seit vorgestern ist das Baylab der Bayer AG auch beim Wissenschaftssommer erhältlich.

Baylab ist ein improvisiertes Forschungslabor, in dem Wissenschaftler Schülerhände in eine Nebelmaschine stecken, durchgestylte Schutzbrillen zum Zwiebelreiben verlocken und wo mit Schraubenziehern an kranken, körpereigenen Proteinen – so genannten Targets – rumgeschraubt wird. Und nach 30 Minuten wissen Schüler auf einmal Dinge, für die sonst nicht einmal eine Doppelstunde ausreicht.

Keine Frage: Die Bayer AG rettet so immer mehr Schüler vor dem kranken deutschen Schulsystem. Der Bedarf sei riesig, sagt Dr. Birgit Faßbender, die Baylab betreut, und die Schulen seien in Not. Fehlendes Material, schlechte Ausstattung, experimentierunwillige Lehrer – Forscherin Faßbender wundert es nicht, dass die festen Versuchslabors für Schüler im Ruhrpott längst auf ein Jahr ausgebucht sind.

Wer nun angesichts der Bayer-Initiative die Rettung verkündet, sei jedoch gewarnt. Schließlich ist Bayer bekannt für seine Nebenwirkungen. Und auch bei Baylab ist durchaus damit zu rechnen, dass der Pharma-Konzern die Kontrolle verliert. Denn wer den Stoff des Schulunterrichts begreift, kann später auch kritische Fragen stellen. Eine derartige Bewusstseinsveränderung im Umgang mit Medikamenten kann Bayer noch teuer zu stehen kommen. ARMIN BEBER

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