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bettina gaus über FernsehenDrittklässler auf Frauenjagd

Im Fernsehen müssen Junge alt und Alte jung sein – irgendwie zwischen 14 und 49

Cedric ist acht Jahre alt und geht in die 3. Klasse. Er ist ein nett anzuschauender, unauffälliger Junge mit leicht abstehenden Ohren. Wahrscheinlich wäre das mit den Ohren keinem Zuschauer aufgefallen, hätten die Reporter von RTL nicht eigens darauf hingewiesen. Aber da es in diesem Beitrag des Boulevardmagazins „Explosiv Weekend“ schließlich um diese Ohren geht, werden sie prominent abgefilmt. Cedric will sie sich nämlich in einer einstündigen Operation enger an den Kopf anlegen lassen. Der Grund, laut RTL: Er „will bei den Mädels punkten, und er glaubt, dass seine großen Ohren da irgendwie stören.“ An anderer Stelle des Berichts behaupten die Reporter: „Weil das mit den Mädchen so eine Sache ist, hat Cedric beschlossen: Jetzt oder nie.“ Ist das nicht niedlich?

Nicht besonders, nein. Hätte RTL Recht, dann wäre das Kind in seiner natürlichen Entwicklung ziemlich gestört, und die Eltern hätten durchaus Anlass, sich Gedanken zu machen. 8-jährige Knaben haben nämlich im allgemeinen andere Sorgen als ihre möglicherweise zu geringe Anziehungskraft auf gleichaltrige Mädchen. Aber die RTL-Reporter haben ja nicht Recht. Cedric selbst kann sehr klar definieren, warum er bereit ist, sich unters Messer zu begeben: Wenn die Leute ihn ansähen, dann frage er sich immer, ob sie eigentlich ihn anschauten oder bloß seine Ohren.

Diese Begründung ist glaubwürdig, aber gar nicht niedlich. Deshalb wird sie zwar gesendet, aber im weiteren Verlauf des Beitrags ignoriert. Viele Kinder leiden unter mangelndem Selbstbewusstsein, und es ist eine der wichtigsten und schwierigsten Erziehungsaufgaben, dieses Selbstbewusstsein zu stärken. Dafür bietet sich eine Reihe von Möglichkeiten an – chirurgische Eingriffe werden jedoch bislang nur selten dazu gezählt.

Cedrics Mutter war übrigens anfangs gegen die Operation. „Doch jetzt gibt sie sich geschlagen.“ Kinder könnten nämlich sehr gemein und grausam sein. „Soll er’s halt machen“, meint sie nun. Was hätte sie empfohlen, wenn ihr Sohn hinkte, stotterte oder rote Haare hätte? Na schön, Haare lassen sich färben. Über die anderen Varianten möchte man lieber nicht nachdenken.

Der Beitrag von RTL ist obszön, aber durchaus trendy. Die Botschaft ist unmissverständlich: Du kannst schön sein, erfolgreich und jedem Idealbild entsprechen – es kommt nur darauf an, welche persönlichen Opfer du dafür zu bringen bereit bist. Etwas darfst du allerdings nicht sein: jemand, der genauso aussieht und sich verhält, wie es zu seinem Lebensabschnitt passt. Mit all den Unsicherheiten und fixen Ideen, die dazugehören.

Die Reportage ist kein Ausrutscher. Unentwegt werden wir im Fernsehen mit Leuten konfrontiert, deren positivste Eigenschaft darin zu bestehen scheint, dass man ihnen ihr Alter nicht ansieht. Gelebte Lebenszeit – oder eben: noch nicht gelebte Lebenszeit – ist für sich genommen kein respektables Merkmal. Im Gegenteil. Spätestens ab dem Alter von 50 Jahren werden Schauspielerinnen – Iris Berben, Hannelore Elsner, Uschi Glas – dafür gelobt, dass man sie angeblich für 40 halten könnte. Der FDP-Chef Guido Westerwelle hält das jugendliche Alter seiner Berater und Beraterinnen für deren hervorstechendste positive Qualifikation. Und Drittklässler gehen halt auf Frauenjagd. Anders ausgedrückt: Je schmaler die angeblich werberelevante Zielgruppe tatsächlich wird, desto dringender muss nachgewiesen werden, dass wir irgendwie alle zwischen 14 und 49 Jahre alt sind.

Also früh erwachsen und trotzdem ewig jung. Was immer das bedeuten mag. Wer gerne als progessiv gelten will, fordert das Wahlrecht für 16-Jährige. Als ob es nicht ein Grundrecht sein könnte, sich im Kindesalter und in der Pubertät noch nicht für Politik interessieren zu müssen. Die jüngste Bundestagsabgeordnete ist 19 Jahre alt. Spricht es für die reaktionäre Geisteshaltung einer 45-Jährigen, wenn sie es nicht so gerne hat, dass ein junges Mädchen darüber entscheiden darf, welche Abgaben ihr zuzumuten sind?

Altersfeindlichkeit ist in einer kinderarmen Gesellschaft ein nicht ganz neues Phänomen. Nun jedoch dürfen Kinder offenbar nicht einmal mehr kindlich sein. Da kann man nur noch auf deren Fähigkeiten zur Gegenwehr bauen. „Cedric sieht auch so gut aus“, findet eine Klassenkameradin. Er brauche gar keine Operation. Recht hat sie. Der 8-Jährige ist nach dem Eingriff übrigens enttäuscht: „So hab ich mir das eigentlich nicht vorgestellt.“ Genaueres möchte RTL darüber nicht erfahren. Nächster Beitrag.

Fragen zu Fernsehen?kolumne@taz.de

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