: betr.: "Der Imperialismus wird zu teuer", taz vom 15.5.90
betr.: „Der Imperialismus wird zu teuer“, taz vom 15.5.90
Ich bin irritiert und enttäuscht über die für mich konfusen Positionen des marxistischen Philosophen Peter Ruben. (...)
Ruben sagt ja bezüglich des Gemeineigentums richtig, die Sozialdemokratie nenne es Sozialisierung, die Kommunisten realisierten es als Staatseigentum (wohlgemerkt: die einen nennen es, die anderen realisieren es) und dann: Beides seien nur verschiedene Lösungen derselben Frage. (...) Es ist schon richtig, dem „rohen“ Kommunismus, der „sozialen Deklassierung“, die er teilweise hervorgebracht hat, nicht nachzuweinen (obwohl mir zum Weinen ist), aber die Sozialdemokratie so einfach davonkommen zu lassen?
Ruben macht es sich zu einfach: Bestimmte unternehmerische Menschen sind hier bei uns gleichzeitig Kapitalisten. Sie gehen nicht irgendwie in einen Kapitalistenzustand über, geschweige denn, daß sich dieser Übergang durch Gemeineigentum an Grund und Boden verhindern ließe (noch dazu, weil dies logisch aus Marx‘ Theorie hervorgehe).
Interessant ist es, kapitalistisches Interesse an der Erhöhung stofflichen oder gesellschaftlichen Gebrauchswertes, realisiert über konkrete Individuen als Innovationsquelle zu untersuchen. Vielleicht, sicher war unser Verständnis von kapitalistischen Profitgeiern wirklich sehr reduziert. Nur ob seine Erfahrungen auf dem (sozialistischen) Bau sich hier in den Chefetagen multinationaler Konzerne wiederholen würden? Ist schon so eine Sache mit den eigenen Erfahrungen.
(...) Optimist (historischer) derjenige, der glaubt, die bisherige Auseinandersetzung zweier „Blöcke“ sei eine Auseinandersetzung zweier Begriffssysteme gewesen. Optimistisch die Annahme, der Wegfall des ideologischen oder politischen Kampfes ließe Wirtschaftswunder- und Prosperitätspotenzen wirksam werden. Potenzen, die allen konkreten Individuen gleichermaßen zuträglich wären?
Rubens Frage nach der Rolle konkreter Individuen für/als Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklung ist wichtig. Meine Frage: Was ist mein Ziel für mich, mein Ziel für gesellschaftliche Entwicklung? Wie ist die immer mehr umsichgreifende geldliche Verwertung in dieser Gesellschaft zu werten, ihr gar zu begegnen? Alles wird zu Ware, mir scheint, alle Ideen, menschlichen Zusammenhänge, die noch nicht von Geld erfaßt sind, haben nur eine kurze Schonfrist. Das ist doch ein Ergebnis dieses „blinden“ Wettkampfes konkreter Unternehmer, die an Verbesserung menschlicher Arbeitsbedingungen interessiert sind?
(...) Vor lauter konkreter Individuen (man mag Peter Ruben zugute halten, daß es in der DDR in besonderem Maße um die „Öffentlichwerdung“ konkreter Individuen ging), aber wo bleiben solidarische, gemeinschaftliche Zusammenhänge, Verbindungen, Organisationen? Oder sind beispielsweise Gewerkschaften Hindernisse für wirtschaftliche Rationalität?
E.W.Grüter, Kirchzarten
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