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besuch der alten dameMICHAEL PALME fordert Fließbier statt Champagner

HERTHA, EIN NACHRUF

Früher, als ich klein war und bei Viktoria 89 gespielt habe, da schauten wir immer zur Plumpe, zum Gesundbrunnen, ehrfurchtsvoll hinüber. Zur großen Hertha, jawoll. Wenn wir gegen die gespielt haben, haben wir uns immer zwischen fünf und zehn Stück eingehandelt, haben ein bisschen geheult und waren rechtschaffen stolz. Später, in der Jugend und als Junioren, hat zwar die kleine Hertha aus Zehlendorf stärker hingelangt, aber die große war immer das Maß aller Fußballdinge im geteilten Berlin.

Und der Fußballgott hieß Helmut Faeder. Der schoss aus 50 Metern dem Torwart genau zwischen die Augen, den Abpraller versenkte er per Fallrückzieher. Hinten spielte einer, den nannten sie Knochen-Karl. Der Name war Programm. Dann kam die vermaledeite, gottverdammte Bundesliga. Die Hertha musste natürlich unbedingt dabei sein. Sie stand voll im Saft, war glücklich, und verlor öfter, als dass sie gewann. Dennoch, unser aller Hertha sah noch gut aus, kleidete sich ihrem Alter angemessen, wirtschaftete mit dem bisschen Mammon ordentlich. Es gab Erbsensuppe bei Aschinger und Fließbier bei Holst am Zoo. Doch schon bald wurden das Hemdchen und die Spielerdecke zu kurz. So verscherbelten sie alsbald die altehrwürdige Plumpe, das Stadion am Gesundbrunnen.

Von nun an ging’s bergab. Faeder hörte auf zu schießen. Knochen-Karl trat schon lange nicht mehr. Dann machte ein Gemüsegroßhändler im fernen Offenbach ein Fass auf und der Bundesligaskandal begeisterte die Medien. An jenen Tagen traf ich Präsident Holst. Ein feiner Mann. Er streckte mir beide Hände hin und meinte inbrünstig, man könne sie ihm abhacken, wenn seine Hertha auch nur eine müde Mark genommen hätte. Tage später hat die gute Hertha gestanden. Man hatte mehr als nur eine müde Mark genommen. Der Ungar Zoltan Varga, ein begnadeter Techniker, sagte hinterher: „Bestechung, was für ein hässliches Wort. Wir haben ein bisschen Geld genommen, mehr nicht.“ Präsident Holst hat seine Hände noch. Das war Anfang der Siebzigerjahre und die Hertha wurde zusehends älter. Sie stieg ab und auf und ab. Es wechselten die Liebhaber, die Berater, die Gönner. Ein unstetes Leben begann, ruhelos, orientierungslos, aussichtslos. Wechseljahre. Die einst so stolze Hertha wurde zickig, die Krähenfüße tiefer.

Da rotteten sich Retter zusammen. Die verhökerten unsere alte Dame an ein Unternehmen. Für gutes Geld natürlich. Das Unternehmen besorgte Fachleute. Jürgen Röber, um der gebeugten Hertha wieder den aufrechten Gang beizubringen, und Dieter Hoeneß, um Umgangsformen und Outfit zu verbessern. Eine Frischzellenkur für Leib und Seele – und Einkleiden fürs Äußere. Nicht mehr Konfektion vom KaDeWe, sondern Designerklamotten von Sanders, Lagerfeld und Joop.

Dabei hätte alles gut werden können, wäre da nicht ein Verwaltungsratsvorsitzender aus Bayern gewesen. Ein Bayer in Berlin, das konnte nicht gut gehen. Ist es auch nicht. Die Herren Röber und Hoeneß aber haben ganze Arbeit geleistet. Die Hertha sieht um Jahre jünger aus, wird wieder hofiert, durfte sogar im Kreis der ganz Großen mitmachen und sonnt sich in der Hauptstadt Deutschlands.

Doch aufgepasst. Du bist nicht jünger geworden, Hertha!, auch wenn es bisweilen so aussieht. Die wilden Jahre sind nicht im Trikot stecken geblieben. Bleib bei Currywurst mit Pommes und lass die Finger von der dämlichen Erlebnisgastronomie. Disco ist nicht mehr deine Welt, die Beatles stehen dir besser zu Gesicht als Puff Daddy. Fließbier bekommt dir besser als Champagner. Muss ja nicht unbedingt beim Holst sein. Lass dich nicht verbiegen, denk immer daran, wo du hergekommen bist: von der Plumpe. Und wenn du irgendwann Deutsche Meisterin geworden bist und Champions-League-Gewinnerin oder gar Weltpokalsiegerin, auch dann vergiss nicht: von der Plumpe!

Michael Palme ist Sportreporter beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF)

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