bernd müllender über plagen: Rückenfleisch über Stachelbeergebein
Der erhitzte deutsche Mann und seine ästhetisch deprimierende Massenperformance im öffentlichen Raum
Die Wissenschaft kennt im Spannungsfeld der Geschlechter noch viele ungeklärte Fragen. Etwa warum Frauen Brot immer schief vom Laib schneiden, warum Männer Frauen nicht einparken lassen können oder ob all solche Fragen besser Männer aufwerfen oder Frauen beantworten. Man könnte auch fragen: Wer von beiden, Kerl oder Weib, ist anderser?
Hier geht es um das wundersam Anderste: das öffentliche Auftreten von Männern unseres Kulturkreises im Sommer. Genauer: von deutschen Männern. Offenbar lieben sie, generationen- und klassenübergreifend, die schamarme Präsentation ihrer oft kühnen Körper mit grauenerregenden Variationen von Short, Shirt, Strümpflein und Sandalen, als gelte es der Mitwelt einen Krieg zu erklären.
Thema klar? These auch: Nach optischen Gesichtspunkten könnte es gar nicht Winter genug sein. Winter heißt Zwangsverhüllung wegen Kälte. Unser Neid gilt den Eskimos.
Der deutsche Herbst ist nichts gegen den deutschen Sommer. Überall bunte Schorts unter andersbunten Schörts, quer gestreift breit über längs gestreift schmal. Die Hosen entweder zu kurz & spack oder schlabberig sportiv wie aus dem Turnbeutel geliehen oder baumelnd kniekehlenlang. Hierin wirken übrigens die herausstummelnden Stachelbeerbeine am eindrucksvollsten. Die Füße stecken, bisweilen keck besockt, in absurden Sandalen aus echtem Kunstleder, Birkenstock-Imitaten breit mit Plastikfußbetten oder gleich in Adiletten. Freizeitlook heißt das. Leger hatten die Werbeschildchen beim Kauf gesagt oder sportlich und zeitlos.
Der Gang des deutschen Sommermannes ist schlurfend, was angestrengte Lockerheit belegt. Der nackte Fuß zeigt gern sein dickes, parmesanhaftes Hornhautpolster und stolz einen blutunterlaufenen Zeh vom letzten Fußballkampftag oder der Autoreparatur. Fußnägel wurden zuletzt für die Weihnachtsfeier gestutzt, so dass man bei Kollision Angst vor Schnittwunden haben muss. Gern lässt der deutsche Mann sein lustvoll hüpfendes, quabbelndes Bauchfleisch nackicht tanzen. Die Wampe als Körperpokal. Wobei ihr das originäre Bestimmungsgebiet manchmal nicht reicht und sie dann den gesamten Rücken umwuchert. Im kalten Anatomie-Sprech heißt das Rückenpolsterzone oder Hinterbauchfleisch.
Als Kompromiss obenrum gilt das ärmellose Unterhemd, in gewollter Formlosigkeit und mit unbezahlter Werbebotschaft auf der Brust. Hier hat der stechende Achselschweiß alle Freiheiten. Man vermutet, auch diese Subspezies hält sich für sexy und begehrenswert. Als sicher gilt, dass die meisten dieser Deutschmänner tatsächlich in Kontakt mit dem anderen Geschlecht geraten und sich auch fortpflanzen. Wie sie sich verstellen, darüber rätseln die Forscher noch.
Hier muss die Frau als solche eingewechselt werden. Man möchte meinen, sie, das gemeinhin gepflegtere Wesen, müsste bei solchen Zumutungen in der Mehrheit längst auf jedweden, vor allem körperlichen Kontakt zum Deutschmanne verzichten. Weil dem nicht so ist, darf man schlussfolgern, dass es bei Frauen mit der passiven Ästhetik auch nicht weit her ist. Wohl aber mit einer erschreckenden Toleranz, die schon an Selbstaufgabe oder Resignation grenzt.
Die Sommermannforschung definiert als Steigerung von Sommermann die Sommermänner. Idealer Studienort ist die dicht bevölkerte deutsche Fußgängerzone. Anders als Frauen neigt der deutsche Mann nicht dazu, den emsigst durchs Gesicht perlenden Schweiß auch abzuwischen. Lecker. In der Fußgängerzone sieht man auch Buben (selten Mädchen), die schon gescheckt wie ihre Väter herumlaufen. Ein klares Versagen der Erziehungswissenschaft.
Ein Ensemble der verschwitzten buntbunten Sommermänner, jeder mit Handycolt am Gürtel, die Socken der Qualitätsstufe hautsympathisch, Farbe weiß, bis halbe Wadenlänge straff hochgezogen auf einem Fußgängerzonen-Waschbetonkübel posiert, wäre das deutsche Denkmal der Alltagskultur. Eine Ikone des Übels. Das Überübel.
Und doch gibt es noch eine Steigerung zur Performance der Fußgängerzone: Das sommerliche Fußballstadion. Die Stehränge sind Laufsteg. Hier kommt durch Enge und Gluthitze noch das gemeinschaftlich rituelle Schwitzen hinzu, weil auf die gern spack nackten Oberkörper noch dicke Wollschals und Kutten auch bei 100 Grad getragen werden wollen. Ein ästhetisches Armageddon. Psychologen vermuten, die Fußballsommermänner wollen ihren Lieblingen auf dem Rasen zeigen: Ich habe auch zwei Beine. Seht her: Ich bin von der Grundausstattung quasi einer von euch.
Männer im Sommer brauchen Hilfe. Kennt wer Kleidungstherapeuten? Muss der Gesetzgeber erst ein Ganzkörpervermummungsgebot aussprechen? Oder hilft zunächst ein Männer-Tschador? Winter, komm!
Mitarbeit: Prof. Gerda Reh-Rutz, Ordinaria für Erscheinungsexzentrik am Institut für Sommersoziologie der RWTH Aachen
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