berlinmusik: Hirn und Welt
Die Neurowissenschaften scheinen vorerst auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Wo früher zu Hegels Zeiten noch der Weltgeist als Prinzip waltete, hat inzwischen das Welthirn übernommen. Wie man sich dessen Wirken im Einzelnen vorzustellen hat, soll nicht unsere Sorge sein. Eine durchaus erfreuliche Version davon jedoch hört auf den englischen Namen „World Brain“.
World Brain ist das Soloprojekt von Lucas Chantre alias Lucas Ufo, der bisher vor allem mit der Berliner Band Fenster in Erscheinung getreten ist. Eine international zusammengesetzte Truppe, die Pop als bunte Spiel- und Probierwiese für allerlei Sanftes, Weiches und Entspanntes nimmt. Mit World Brain widmet sich Lucas Ufo ebenfalls ausgiebig den flauschigen Seiten des Pop.
Das Fluffige, es tut so gut. Sei es als Synthiepop oder als jene Ausformung des Erwachsenenrock, die gern als Yacht Rock bezeichnet wird. Bands wie die makellos produzierten Fleetwood Mac geistern als Inspiration durch die ebenfalls vorbildlich aufgeräumten Songs von „Peer 2 Peer“, dem Debütalbum von World Brain. Die Selbstbeschreibung „musique about wifi and luv“ gibt zudem Aufschluss darüber, dass das Welthirn auch etwas mit dem Internet als globaler Vernetzungsinstanz zu tun haben könnte, in technischer wie in zwischenmenschlicher Hinsicht.
Mit „The Pangean Anthem“ geht es so unbedarft wie entwaffnend verspielt los. Ein künstliches Kinderparadies aus altmodischen elektronischen Klängen. Die Platte wird auch im weiteren Verlauf ihrer 35 Minuten nichts von diesem aufgeklärten Optimismus verlieren. Optimismus, weil das synthetisch sonnige Gemüt durchgehend die Songs beherrscht. Aufgeklärt, weil die Texte nicht unbedingt zur Tonlage der Musik passen wollen.
In der fast schon ungesund süßlichen, aber gerade deshalb so tollen Nummer „Everybody Dies“ etwa, mit dem kanadischen Singer-Songwriter Sean Nicholas Savage als Gast, geht es tatsächlich um die gern aus dem Alltag verbannte lebensbestimmende Einsicht, dass die Tage auf Erden für jeden irgendwann vorbei sind. Und für Botschaften wie diese braucht es gar keinen Gruftgesang. Ein charmanter Ohrwurm tut es auch. Dieser vermeintliche Widerspruch macht „Peer 2 Peer“ so unwiderstehlich.
Tim Caspar Boehme
World Brain: „Peer 2 Peer“ (Mansions and Millions), live 11. 5., Kantine am Berghain
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