piwik no script img

berlinmusikModerne Optimisten

„Optimistic Modernism“. Das klingt, aus heutiger Sicht, wie eine kurze Phase im 20. Jahrhundert. Eine, die einerseits genügend Abstand vom Zweiten Weltkrieg hatte und andererseits noch nicht in die kältesten Jahre des Kalten Kriegs gelangt war. Und in der man schon gar nicht die Postmoderne ausgerufen hatte. In den frühen sechziger Jahren mithin.

Aus dieser Zeit stammen auch die schönen Sessel auf dem Coverbild von „Optimistic Modernism“, dem gemeinsamen Album von Lan Cao, Gregor Siedl und Wolfgang Seidel. Von dem Trio ist allein der gebürtige West-Berliner Seidel, seines Zeichens Mitgründer der Band Ton Steine Scherben, alt genug, um diese Zeit miterlebt zu haben. Seine Mitstreiter, die in Vietnam geborene Pianistin und Elektronikerin Lan Cao und der aus Österreich stammende Klarinettist Gregor Siedl – beide sind auch als Duo aktiv –, kommen da ein paar Generationen hinterher.

Einigen können sich die drei hingegen auf ihren Ansatz, in dem sie sich der Moderne durchaus verpflichtet zeigen. Inspiriert ist die Musik dabei nicht nur von den auf dem Cover gezeigten Möbeln der Architekten Klaus Kirsten und Heinz Nather, die zusammen in West-Berlin ein Büro betrieben, sondern vor allem von Kirstens denkmalgeschütztem Entwurf der Gebäude der Druckmaschinenfirma Rotaprint im Wedding. Im heutigen ExRotaprint, wie der Komplex inzwischen heißt, der unter anderem auch als Kulturzentrum dient, entstanden die Aufnahmen für „Optimistic Modernism“, eine wenn nicht ortsgebundene, dann zumindest ortsverbundene Musik.

Optimisten gelten ja gemeinhin als Menschen, die über zu wenig Informationen verfügen, um Pessimisten zu sein, diesen daher unterlegen sind. Dass Optimismus aber weder dumm noch aufdringlich laut sein muss, machen die drei in ihren behutsam entdeckungsfreudigen, nie aggressiv dissonanten Klangerkundungen mehr als deutlich.

Freundlich-spröde, dem Abstrakten eher zugeneigt als vertrauten melodisch-harmonisch-rhythmischen Strukturen, machen die acht Nummern des Albums eigene Räume auf, die sich sehr gut bewohnen lassen. „Optimistic Modernism“, das klingt, je länger man zuhört, sehr nach jetzt.

Tim Caspar Boehme

Lan Cao • Gregor Siedl • Wolfgang Seidel: „Optimistic Modernism“ (Moloko+), www.molokoplusrecords.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen