piwik no script img

berliner szenenSchutzgeld in Neukölln

„Pizza kommt“

„Der Hunger treibt’s rein!“, sagen manche Menschen gemeinhin, wenn Abzulehnendes aufgetischt wird. Wenn gar nichts aufgetischt wird, heißt es auch: „Der Hunger treibt uns raus!“ Und draußen ist dann Neukölln, das Bezirk gewordene Abenteuer.

Schnell aber lernt der Zugereiste, dass es hier auch paradiesische Winkel von ungeahnter Gastlichkeit gibt. Etwa die Pizzeria „Ramazzotti“ am Kottbusser Damm – betrieben von einer waschechten italienischen Großfamilie wie aufder Tiefkühlpizza-Verpackung.

In weißem Unterhemd steht der Onkel vor den Backöfen, verstaubte Glasbausteine vor den gütigen Augen. Mama – rund, gemütlich – bedient, während Oma an der Theke Kette raucht. Eine Riege lethargischer Jungmänner umlagert koalabärenhaft den Fernseher, auf dem offenbar ausschließlich Sport mit italienischer Beteiligung ausgestrahlt wird: Inter Mailand, Giro d’Italia, Michael Schumacher. Pizza gibt’s dort auch. Und zwar zum Anti-Döner-Mampfpreis von fünf Mark, gerne auch zum Mitnehmen, gerne auch nach Mitternacht.

„Nach Mitternacht“ ist aber in Neukölln ein kritischer Termin, wie der Autor dieser Zeilen neulich feststellen musste. Der späte Hunger auf einmal „Thunfisch mit Zwiebeln“ trieb mich die Straße hinunter in das Ristorante, ein halbes Dutzend schweigsamer Albaner hatte es gerade verlassen. Nun standen sie, die Hände bis zu den Impfmarken in den Hosentaschen, draußen auf dem Trottoir. Entschlossen unentschlossen spähten sie durchs Fenster hinein, tuschelten, offenbar balkanische Angelegenheiten beratschlagend.

Einen abschätzenden Blick nahm ich mit hinein und wartete dort an der Theke neben dem Glücksspielautomaten. Er sagte „tutu-tut, tutu-tut“, wie es GlückspielautomatenArt ist. Alles andere aber verstörte: Der Kellner telefonierte aufgebracht am Münzversprecher, die Oma hing am Handy – und der Rest der Familie wanderte händeringend hin und her. Endlich erbarmte sich der Onkel, kam aus der Küche, putzte sich mit seinem weißen Unterhemd zerstreut die Brille, schaute besorgt nach draußen, drückte seine Zigarrette aus – und nahm schließlich meine Bestellung entgegen. Beiläufig statt beifällig, wie ich es gewohnt bin. „Alles klar?“ fragte ich unbestimmt. „Alles klar!“, versetze er unruhigen Blickes: „Isse albanische Mafia. Keine Problem. Pizza kommt.“

Albanische Mafia? „Ja, aber wir schon zahle italienische Mafia. Keine Problem.“

Keine Problem? Schon betrat ein breitschultriger Italiener das Lokal und wurde per Handschlag begrüßt, dann noch zwei ernste junge Männer, bis sich im Restaurant eine schlagkräftige Truppe von zehn Leuten gebildet hatte – derweil draußen ein Albaner zur Unterhaltung seiner Kumpels mit einem Klappmesser hantierte. Es blitzte im Licht der Straßenlaterne: Eine Aufrüstung war im Gange, und es war keine ideologische.

Fürsorglich drückte mir endlich der Koch den Karton in die Hand und schob mich vorsorglich aus dem Laden. Sie schmeckte übrigens matschig, die spannendste Pizza Neuköllns. Der Hunger trieb sie rein. ARNO FRANK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen