piwik no script img

berlin, streitkultur etc.OHNE PÖBELN

Auch das muss Berlin lernen: Dass ein Streit mit Argumenten ausgetragen wird, ohne Diffamierungen und Intrigen, als offener Austausch. Dazu gehören rhetorische Übung, Sachkenntnis und ein Fünkchen Respekt gegenüber den Sichtweisen Andersdenkender. Aber nix iss: Als die Entscheidung zum Holocaust-Mahnmal fiel, hörte man Bürgermeister Diepgen aufgeregt gegen den geplanten Bau des Eisenman-Entwurfs giften, aber Gründe dafür, warum das Mahnmal die Berliner Stadtmitte verunzieren oder gar Touristen vertreiben könnte, mit einem Wort: warum Berlin mal wieder für die Schandtaten der anderen büßen müsse, fand er keine. Stattdessen blieb er beleidigt vom Spatenstich am 27. Januar fern. Ein Preuße bleibt in seinem Vorurteil standhaft.

Wie wohltuend ist dagegen die Bonner Debattenkultur, die am Mittwoch abend in der Berliner Akademie der Künste einkehrte, als Hans Haackes angefeindetes Reichstags-Projekt diskutiert wurde. Auch hier wäre mit lospolternden Berliner Schnauzen zu rechnen gewesen: Immerhin will Haacke die Giebelinschrift „Dem deutschen Volke“ am Reichstag durch ein Beet voller Erde im Inneren des Hauses ergänzen, das die Neonschrift „Der Bevölkerung“ zieren soll. Bislang waren vor allem CDU/CSU-Politiker laut geworden, weil sie eine solche „politische Aktion“ nicht mittragen wollen; inzwischen gibt es eine Unterschriftenaktion von Parlamentariern gegen das Projekt, über das der Bundestag im April entscheiden soll.

Tatsächlich war die Diskussion aber frei von Ressentiments – weil weder Bayern noch Berliner auf dem Podium saßen. Dagegen konnte man dem aus dem Rheinland stammenden Kunsthistoriker Walter Grasskamp zuhören, wie er brillant die Gegensätze von politischem Auftrag und künstlerischer Repräsentation analysierte. Und selbst der erklärte Gegner des Haacke-Entwurfs, Norbert Lammert (CDU) aus Bochum, sprach in klaren Sätzen aus, warum er glaubt, dass die Würde von Parlamentariern nicht mit Haackes Anliegen zusammengeht, säckchenweise Erde nach Berlin zu bringen. Der in New York lebende Haacke konterte mit dem Hinweis, dass der Transport von Erde doch keine Zumutung darstellen kann für Politiker, die ohnehin Woche für Woche durch die Bundesrepublik reisen – im Pendelverkehr zwischen ihrem Wahlkreis und dem Regierungssitz Berlin. Und Manfred Schneckenburger, der in Münster die Kunstakademie leitet, erklärte in einem Plädoyer, dass ein Parlament nicht über Kunst abstimmen darf, weil es entweder politisch, also kunstfern, entscheidet oder aber ästhetische Kriterien anlegen muss, über die eine diffuse, in ihrem kulturellen Wissen schwankende Gruppe von 669 Abgeordneten kein gemeinsames Urteil abgeben kann.

Das alles schien dem Publikum sehr einzuleuchten. Es gab keine Zwischenrufe, keine Pöbelei, nur gezielte Wortmeldungen. Etwa von Klaus Staeck oder Peter Conradi, aber die leben in Heidelberg und Stuttgart. Ohne Stimmungsmache Marke Berlin scheint die Neue Mitte prima zu funktionieren. HARALD FRICKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen