berlin buch boom: Werbung für den Wiederaufbau der Museumsinsel
Jubler und Gaukler
Der Weg zur Museumsinsel ist bekannt. Man überquert vom Osten her die Spree und geht über die Bodestraße am Säulengang der Alten Nationalgalerie vorbei. Dann steht man vor dem Kupfergraben, sieht links einen Ausläufer des Lustgartens und rechts ein hässliches Loch.
Dort stand einst ein Gebäude, das nicht dem Krieg zum Opfer fiel, sondern gewissermaßen sich selbst; es war nicht sorgfältig gebaut worden. Daher galt der so genannte Packhof, obwohl vom großen Baumeister Karl Friedrich Schinkel selbst entworfen, bereits 1877 als abreißenswert: „Das Gebäude genießt innerhalb der Staat-Bauverwaltung Berlin einen besonders üblen Ruf, da es die häufigsten Reparaturen unter allen fiskalischen Gebäuden erfordert.“ 1935 wurde es abgerissen. Nun fehlt dieses Gebäude im Ensemble, das Carola Wedel „Kunstwerk-Kupfergrabenlandschaft“ nennt.
Wedel dreht im Auftrag des ZDF eine Langzeitdokumentation zur Museumsinsel, die über zehn Jahre den Wiederaufbau, aber auch die Umgestaltung des „Weltkulturerbes“ zeigen soll. Zeitgleich erscheint jedes Jahr ein Buch, das über den neuesten Stand informiert, eine Mischung aus stilisiertem Drehtagebuch und Geschichtsreport. Der Band, der den Auftakt macht, heißt schlicht „Die neue Museumsinsel“, doch sein Untertitel „Der Mythos, Der Plan, Die Vision“ verrät schon, dass es nicht Frau Wedels Auftrag ist, nur die Bauarbeiten zu verfolgen. Es geht ums Ganze, klar. Gottfried Lehmann vom ZDF, der ebenso wie Kulturminister Nida-Rümelin ein Vorwort beisteuerte, sagt es deutlich: Der Nationalsozialismus, aber auch Preußen habe das Bild von Deutschland „international“ geprägt, daher seien die Deutschen „kaum in der Lage, unbefangen zurückzuschauen“. Doch es gebe „durchaus auch andere Seiten der Geschichte, die wir wieder stärker beleuchten sollten und deren kulturelle Kraft wir für unser Wertesystem und unsere Zukunftsfähigkeit brauchen.“ Dergleichen ist besonders interessant, wenn man bedenkt, dass ein gut Teil der „kulturellen Kraft“ der Museumsinsel aus geraubten Schätzen Ägyptens und Griechenlands besteht.
Carola Wedel und ihre Koautoren folgen brav dem Auftrag und zeigen, wie einem Masterplan zufolge alles wiederhergestellt und besser als je zuvor wird. Das Buch bringt schöne Bilder und reichlich Informationen, doch es leidet unter dem nationalen Jubel, der sich auch vom preußischen Königshaus nicht zu distanzieren weiß.
Alle Planung scheint gut und wichtig, super so. Nur der Packhof wird nicht wiederaufgebaut. An seine Stelle kommt eine monströs-moderne Eingangshalle zu dem unterirdischen Gang, der alle Museen verbinden soll. Das ist auch voll super. Ein Werbebuch, mehr nicht. JÖRG SUNDERMEIER
Carola Wedel (Hg.): „Die neue Museumsinsel“, Nicolai Verlag 2002, 192 Seiten, 19,90 €
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