berlin bricht pds-tabu: Ein Gewinn für die Demokratie
In der Tat, es ist eine Premiere: Ab heute werden nicht nur Bürger des Ostens, sondern auch des „freien Westens“ von einem Regierungschef regiert, dem die PDS ins Amt verhalf. Ein Tabubruch. Der nächste Schritt ist nun absehbar: Gelingt das Berliner Experiment, hat Kanzler Schröder im nächsten Jahr neben den Grünen und der FDP noch einen dritten Koalitionspartner zur Auswahl, die PDS. Manch ein CDU-Politiker sieht deshalb schon den Kommunismus wieder auferstehen.
Kommentarvon RALPH BOLLMANN
Dass sich die Union erregt, kann niemanden verwundern: Schließlich war das PDS-Tabu ein bequemes Ruhekissen, auf dem sich die CDU in den sechs östlichen Bundesländern entspannt zurücklehnen konnte. Hätte sich die SPD in Magdeburg, in Schwerin und jetzt in Berlin nicht über das Denkverbot hinweggesetzt, dann gäbe es zwischen Ostsee und Erzgebirge bald nur noch große Koalitionen. Selbst Manfred Stolpe in Brandenburg konnte zuletzt keine absolute Mehrheit mehr erringen. In Sachsen und Thüringen wird es nach dem Abgang der Überväter Biedenkopf und Vogel nicht anders sein.
Was die CDU verlangt, ist also nichts anderes als eine Garantie ihrer eigenen Macht. Wohin die Tabuisierung von Parteien führt, das zeigt ein Blick nach Italien: Dort waren die Kommunisten über Jahrzehnte von der Regierung ausgeschlossen, genauso lange besetzten die Christdemokraten die entscheidenden Positionen – mit den Sozialisten als williger Hilfstruppe.
So hatte sich Klaus Landowsky das auch an der Spree vorgestellt, und tatsächlich zitierte er Italien als gelungenes Beispiel für die demokratische Normalität großer Koalitionen. Das war 1991. Wenig später ging die Democrazia Cristiana im Strudel von Korruptionsskandalen unter, und die Kommunisten galten unter dem neuen Namen PDS als regierungsfähig. Zehn Jahre danach müssen Landowsky und seine Berliner Christdemokraten das gleiche Schicksal erleiden.
Große Koalitionen sind als Dauerlösung eben nicht normal, und sie sind schon gar nicht demokratisch – statt dessen befördern sie den Filz. Deshalb geht es jetzt um eine schlichte Abwägung: Die immer gleiche Koalition, unabhängig vom Wahlergebnis, ist für die Demokratie weit schädlicher als eine Regierungsbeteiligung der PDS. Zumal es der PDS gelingt, ihre teils noch ostalgischen Mitglieder und Wähler in ähnlicher Weise zur Mitte hin zu integrieren, wie es die Union am rechten Rand vormacht.
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