barbara dribbusch über Gerüchte: Wir alle sind Experten
Gebildete Frauen finden schwerer Liebhaber, weil zu wenig Männer Chef werden wollen. Oder was meinen Sie?
Ich lag auf dem hellbraunen Theoriesofa in der Redaktion und dachte über die Geschlechterverhältnisse nach, flirtete also gewissermaßen mit mir selbst, als sich der junge Kollege Z. schwer atmend neben mich fallen ließ. Sein Gesichtsausdruck war verzweifelt, was mich sofort wachrüttelte. „Schreib“, flüsterte er mir zu wie ein schwer Kranker in der Schlussszene eines Films, „schreib endlich mal, dass es nur aufs Aussehen ankommt. Nur das Körperliche zählt, wir müssen den Mut haben, das herauszuschreien. Jetzt.“
Ich hatte gerüchteweise gehört, dass Z. von seiner Freundin verlassen worden war, wollte aber in diesem heiklen Moment nicht auch noch private Fragen stellen. Schließlich gilt: Je allgemeiner die Geschlechtertheorie, desto akuter das persönliche Leiden, das dahinter steht. „Wir machen eine Serie“, versprach ich Z., „eine neue Serie über Partnerwahl, da räumen wir auf mit der ganzen Heuchelei. Frauen sind ja auch mit schuld an dem ganzen Desaster.“
Hatte ich doch kürzlich erst in einer US-Frauenzeitschrift einen Artikel mit der Überschrift gelesen: „Sorry guys, but size does matter!“ Beim nächsten Sonntagsdienst setzte ich mich mit ein paar Kollegen in der Kantine zusammen, um das Problem zu besprechen.
Das, was Z. da möglicherweise erlebt habe, sei nicht die Regel, gibt Kollegin S. zu bedenken, „bei Männern zählt ja wohl mehr der berufliche Status als die Optik“. „Vielleicht hätte Z. irgendwo Chef sein müssen, dann wäre das andere auch egal gewesen“, sage ich und habe sofort dieses gewisse Gefühl, das mich immer beschleicht, wenn in größerer Runde über die Geschlechterverhältnisse diskutiert wird: Entweder alle lügen herum oder das Niveau sackt gnadenlos ab oder beides und ich mittendrin.
„Wie siehst du denn die Sache so als Mann, was ist dir eigentlich wichtig an Frauen?“ S. wendet sich an den Kollegen P., der in seiner Kürbissuppe löffelt. „Ich bin eine Ausnahme“, meint P., „ich stehe sowieso eher auf Ältere. Ist ja auch egal.“ Ich bestelle eine Flasche Pinot, schließlich ist es schon 13 Uhr.
„Wir wollen uns doch nichts vormachen, nicht herumschwafeln“, sagt S. in ihrem Chefinnen-Sound, „der eigentliche Skandal ist ja wohl nicht der, dass Frauen nur schöne, athletische Männer wollen. Ist doch umgekehrt. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass gebildete, erfolgreiche Frauen keine gebildeten Männer finden. Dazu gibt es Studien, echte Empirie. Die würden auch einen hässlichen nehmen, wenn er nicht doof ist.“
„Genau“, ergänzt Kollegin F., „guck dir doch mal die Polit-Prominenz an: der Schröder, der Fischer, alle haben junge Frauen. Die Künast, die Roth dagegen – Singles, einsame Frauen!“ „Die Fischer-Ehe ist am Ende, und die Roth ist doch gar nicht Single“, meint Kollege M. „Nee, das mit der Roth ist doch schon wieder vorbei“, sagt Kollegin S. Wir alle sind Experten. Und wann kommt endlich der Pinot?
„Das Problem liegt also in den Ansprüchen“, bemühe ich mich, der Diskussion Stil und Richtung zu geben. Ich muss an meine Privatrecherchen denken bei meiner Jugendfreundin Chris, die im proletarischen Milieu der Hundezüchter verkehrt. Zwei frisch verliebte Fünfzigerinnen saßen neulich auf ihrem Geburtstag herum, die eine hatte sich einen früh verrenteten Maurer geangelt, die andere über das lokale Anzeigenblatt einen geschiedenen Brandenburger Landwirt gefunden. Die Stimmung war prima, trotz des scheußlichen Tsatsiki, und das gab mir zu denken.
„Männer gibt es doch genug“, sage ich, „Landwirte zum Beispiel haben es schwer, jemanden zu finden“. „Landwirt! Das würde ja zur Künast passen“, meint M. Wahrscheinlich hält er den Kalauer für gelungen. Der Kellner bringt den Pinot.
„Auf jeden Fall hat es keinen Sinn, den Männern Schuldgefühle zu machen“, sagt Kollegin S. aufgeräumt, „wenn die meisten Männer nun mal Frauen wie Verona Feldbusch wollen, dann muss das auch politisch korrekt sein.“ „Die Wahrheit ist immer politisch korrekt“, meint Kollege P. und stürzt den Pinot hinunter, „ist vielleicht auch für Männer eine Erleichterung, wenn Frauen endlich mal sagen dürfen: ‚size does matter‘. Dann liegen die Karten offen auf dem Tisch.“ Mich beschleicht ein komisches Gefühl. Ich muss wieder nach oben, auf das hellbraune Theoriesofa. Herr Ober, zahlen bitte!
Z. kommt vorbei und sieht mich auf der Couch liegen, ein nasskaltes Tempotaschentuch auf der Stirn. Er schaut mich fragend an. „Wir haben die Partnerwahl-Serie diskutiert“, berichte ich, „aber wir müssen erst noch empirische Klarheit schaffen.“ „Vergiss, was ich dir neulich gesagt habe“, meint Z., „war eine zu persönliche Perspektive. Ich sammle dazu jetzt neue Fakten.“ Z. sieht gelöster aus als noch vor einigen Tagen. Wir alle sind Sammler. Und die nächste Serie kommt bestimmt.
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