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aus dem taz-magazinSchrumpelige Möhren

Gibt es einen Biogeschmack? Eigentlich nicht. Aber: Die meisten Biolebensmittel schmecken intensiver als konventionelle.

Schmeckt bio eigentlich besser? Bild: reuters

Wie aber schmeckt Intensität? Intensiver Geschmack konstituiert sich aus geschmacklichen Zwischenstufen, von denen sich einige zuspitzen und verdichten. Ein Laie würde hier über Merkmale sprechen, da man etwas merkt und in Erinnerung behält. Was ein Kenner als Komplexität, ausgewogene Proportionalität und als einen spezifischen zeitlichen Ablauf des Schmeckerlebnisses mit seinen eigenartigen Übergängen wahrnimmt, hängt auch davon ab, in welcher Lösung das Zusammenspiel der Wirkungsfaktoren stattfindet. Anders gesagt: Dieser Wahrnehmungsvorgang ist abhängig von der Konzentration der Inhaltsstoffe im Verhältnis zu Wasser und anderen Lösungsmitteln, die die Inhaltsstoffe überhaupt erst wahrnehmbar machen. In der Degustation spielt sogar eine Rolle, wieweit in unserem Mund der Speichel zusammenfließt. In je weniger Flüssigkeit die Stoffe gelöst sind, desto intensiver wirken geschmacksbildende Stoffe wie Säure, Süße, Mineralstoffe, Phenole und Aromastoffe. Eine hohe Konzentration der Inhaltsstoffe bedeutet aber nicht automatisch guten, ausgewogenen Geschmack, weil es bei der Geschmacksbildung auf die Spannung zwischen den spezifischen Mischungen ankommt, die in einem zeitlichen Ablauf ihre eigenen Gegenwärtigkeiten haben und die Sinne synästhetisch durchspielen. Entscheidend ist, wie Sinnesqualitäten einer Speise oder eines Getränk als Wahrnehmungsaufforderungen zur Erscheinung kommen oder sich gegenseitig verschatten. Apfelsaftkonzentrat schmeckt nicht zwangsläufig besser als ein normaler Apfelsaft, aber man versucht mit dem Speichel diese Sinneserwartung in eine Balance zu bringen. Der Entzug des Volumens hat zuletzt in der Molekularküche zu bizarren Marotten geführt, ohne dass dadurch immer ein interessanterer Geschmack erzielt wurde. Eine pulverisierte Tomatensuppe ist eben keine Suppe mehr, sondern ein die Geschmacksnerven aufpeitschendes Konzentrat, dessen starken Reiz man rasch satt hat. Geschmackliche Reize werden auch Aromen genannt, die Esskulturen haben schon eh und je mit ihnen gespielt, durch Eindicken, Einkochen und Reduzieren in einem natürlichen Ablauf wie auch durch den Einsatz künstlicher (naturidentischer) Aromen. Wir leben in einer auf Aromen fixierten Zeit, der Markt fordert sie, und fast jeder Produzent will die Aromen steigern. Entzieht man einem Getränk oder einer Speise die Flüssigkeit, wird nicht nur die Konzentration der Aromastoffe erhöht, sondern eben auch die von Säuren, Zucker oder Salzen. Resultat ist ein vollkommen anderes Produkt, mit neuen geschmacklichen Proportionen, das nicht zwangsläufig als angenehm empfunden wird. Ein konzentrierter Apfelsaft mag vielleicht mehr Aromen haben, aber er kann derart sauer schmecken, dass man schon den kleinsten Schluck sofort ausspucken möchte. Konzentration kann man eben nicht automatisch mit Intensität gleichsetzen, da der Geschmack offensichtlich einer anarchischen Logik folgt. Wilde Früchte haben meist ein weniger breites Geschmacksspektrum als kultivierte Früchte, oder Wirkstoffe, die oftmals Abwehrstoffe der Früchte gegen Schädlinge sind, wirken zu grob und im zeitlichen Ablauf des Schmeckens plötzlich und schnell. Warum? Naturgewächse ringen ums Überleben, die Pflanze ist permanent Trockenheit, Nässe, Hitze, Frost oder Nährstoffmangel ausgesetzt. Hinzu kommen Tierfraß, Befall mit Insekten, Pilzen, Viren und weiteren Mikroorganismen. Wilde Früchte sind kleiner, flüssigkeitsärmer und deshalb konzentrierter. Doch sind sie geschmacklich nicht so komplex. Was an ihnen interessiert, ist der ungewohnte Geschmack, der sie zur Ausnahme macht. Ein wilder Pfirsich schmeckt völlig anders als ein saftig-weicher Gartenpfirsich. Der Wildpfirsich ist kleiner, seine Konsistenz ist fester und härter, im Geschmack ist er bitter, in der Süße etwas flach, in der Säure etwas roh. Er liegt näher an der Bittermandel und der Wildpflaume als an dem, was wir mit "Pfirsich" assoziieren. Biofrüchte waren lange Zeit ein Mittelweg zwischen Wildfrucht und kultivierter Frucht. Bei den Gewächsen, die heute als Biofrüchte verkauft werden, handelt es sich meist um naturbelassene einheimische Kulturpflanzen oder rekultivierte alte Züchtungen, die ohne die Mittel und Möglichkeiten der modernen Agrarindustrie nahe der bäuerlichen Tradition angebaut werden. Überlässt man die Kulturpflanze der Konkurrenz der Naturkräfte, geht einiges ein, anderes überlebt im Wettbewerb, wie es aus verschiedenen evolutionistischen Theorien bekannt ist. In der Tradition der alten bäuerlichen Landwirtschaft hat man die erlesensten Früchte und Gewächse auf den Markt getragen. Da die schäbigen die Spuren des Überlebenskampfs trugen, konnte man sie nur zu einem niedrigen Preis verkaufen. Dann kamen die Siebzigerjahre, und im Verweigerungs- und Aussteigerethos der Hippiebewegung vollzog sich vielerorts eine Landflucht der Urbanen. Hier liegen die Wurzeln einer neuen Bewegung, die sich an die zwielichtige Reformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und deren Leitgedanken vom "gesunden Geist im gesundem Körper" anlehnt. Die neuen Kolonisten verlassener Höfe, die urbanen Wilden, die am Rande entvölkerter Dörfer angekommen waren, begannen, eine Landwirtschaft zu praktizieren, die man dort nur von den Armen kannte. So kamen Produkte auf den Markt, wie man sie früher nur nach Naturkatastrophen geerntet hatte: Schrumpelkarotten und -kartoffeln, Früchte mit erbärmlichen Narben, Fleisch von mageren Tieren und vieles mehr, was man gleich als Sinnbild protestantischer Wertethik und romantischer Naturliebe sah und als Kult verkaufte. Jene, die früher Schmalzbrot und Bulette in den Wohngemeinschaften genossen hatten, tischten plötzlich keusche Salate, Fleisch- und Schmalzimitate auf, womit der "Biogeschmack" seinen Anfang nahm. Wie Punk in der Haute Couture seine Entsprechung schnell fand, ergriff die Lebensmittelindustrie die Chance, diese Produkte weltweit in großen Mengen zu erzeugen, industriell zu verarbeiten und die Delikatesse unter dem Signum des Höheren zu vermarkten. Biodynamische Landwirtschaft und andere ökologische Kleinproduzenten erzeugen in geringen Mengen Spezialitäten, womit sie zu einer breiteren Auswahl in Anspielung auf das Andere und Besondere beitragen. as Rare wird gern als das Ursprünglichere und Authentischere angesehen. Diese Sichtweise der Moderne, die in Manifesten mit Authentizitätsbekundungen sogar die postmoderne Zeit überlebte, besitzt einen messianischen Impetus. Es gibt kaum eine Website, die nicht mit ursprünglichem und authentischem Biogeschmack wirbt, sei es bei Käse, Wein oder Brot. Im kleinen Naturkostladen - neuerdings auch in großen Biosupermärkten - treffen sich Gleichgesinnte, die Bioprodukte als Luxusgüter grammweise einkaufen. So servieren sie sich ein Stück dörfliche Idylle, ohne sich freilich mit den widrigen Realitäten des Landwirtschaftens zu konfrontieren. Die Illusion des Echten kehrt unter dem Leitsatz des "vergessenen Geschmacks" zurück. Natürlich meidet man heute das Völkische der Reformbewegung. Man beruft sich auf Urgroßeltern oder längst abgewanderte Verwandte, die noch im Schweiße ihres Angesichts der Natur das Wohlschmeckende, Urige abgerungen hätten, das nun auf unseren urbanen Tischen steht. Daher gibt es Schimmel, Viren und Bakterien, mit denen zu leben man sowieso gewohnt ist und die man ohne Mühe abwaschen und abkochen kann. In der Fantasie vom Biogeschmack wird die Sehnsucht nach Einfachheit wiederbelebt. Eine, die als Ergänzung gelesen werden muss zum Glauben an die Kraft der Avantgarde. Das Credo lautet: Weniger ist mehr, das Schmerzhafte, Scharfe und Säuerliche ist intensiver, das Wüste voller und das Karge heiliger. Und das Ganze im Gewand des Luxus: Lebensmittel mutieren zu Juwelen.

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1 Kommentar

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    Ulf Prange

    Die letzte Ausgabe des taz-magazins fand ich sehr anregend, insb. den Artikel von Peter Unfried.

    Dabei wurde mir aber klar das die TAZ, obwohl ich Ihre Merchandising-Produkte ganz ansprechend finde, doch recht aggressiv für diese auf den Seiten der Printausgabe wirbt. Artikel mit taz-Werbelogo finde ich dabei nicht als solches ablehnenswert, im Gegenteil ich würde mich sogar als "Werbebande" hergeben. Was jedoch Küchenartikel und Bettwäsche damit zu tun haben, kann ich nicht vollends nachvollziehen und seit diesem Artikel auch nicht mehr gut heißen. Bei allen notwendigen zusätzlichen Einnahmen zur Förderung der Meinungsfreiheit wird man, auch wenn eigentlich alle aufgeklärten Menschen seit No Logo dagegen immun sein sollten, durch ihre allgegenwärtigen Werbeanzeigen in eigener Sache, in den Konsum getrieben! Ich kann mir vorstellen das Thema wurde intensiv in Ihren eigenen Reihen diskutiert. Jetzt gehen aber Schreiben und Handeln etwas sehr offentsichtlich auseinander. Edition LMD, Bücher und CDs ja, Küchenmesser NEIN.